von Werner Sticht

Das Bild von Gott

Die Frage dieses Textes ist : Wie sieht Gott aus?
Oder ist das Bild von Gott am Ende gar nur ein leerer Bilderrahmen?
Oder ist es ein Spiegel in einem Rahmen?

Einer Religion anzugehören, bedeutet noch nicht zwangsläufig, an einen oder an mehrere Götter glauben zu müssen.
Im Buddhismus gibt es keinen Gott. Buddha ist kein Gott, kein Prophet, sondern ein Lehrer, der uns empfiehlt vom eigenen Ich frei zu werden, von der Selbstbefangenheit in Gier, Hass und Verblendung und von der Ich-Bezogenheit den Weg zu finden zur Selbstlosigkeit. Nach mehreren Wiedergeburten und stetigem Lernen können wir dann eingehen ins "Nirwana", ins Nichts.

In den vielen Naturreligionen, die man bei vielen Völkern noch findet, kann man Götter finden. Ob man aber die in diesen Religionen verehrten Hausgeister oder die Seelen der Ahnen als Götter bezeichnen kann, ist fragwürdig. Jedenfalls ist es ein verbreiteter Glaube, dass die Verstorbenen nach dem Tode ihren früheren Familien noch hilfreich zur Seite stehen - zumindest so lange, wie man sich noch an sie erinnert.

In höher entwickelten Kulturen, etwa im alten Sumer oder Ägypten, ordnete man verschiedene unerklärliche Erscheinungen und Ereignisse bald mehreren Göttern zu. Einen Einblick in das Gedankengut bis 2000 vuZ zurück gibt uns das Gilgamesch-Epos. Auf vergleichbare Art entstanden die Götterfamilien der Römer und Griechen, aber auch die der Wikinger und Germanen. Kennen Sie noch die Namen Jupiter, Juno, Saturn, Janus oder Zeus, Hera, Athene, Apoll oder Odin Wotan, Thor, Freya, Phol, Baldur, Hel usw. ?
Wie allzu menschlich waren doch diese Götter mit all ihren menschlichen Schwächen, ihren teilweise fiesen Charakteren und ihren oft gar nicht göttlichen Begierden. Manchmal erscheinen diese Götter wie geistig Zurückgebliebene, die dann von den Menschen durch Opfer besänftigt werden müssen, damit sie nicht noch mehr Unheil anstellen.

Ein augenscheinlich vernünftiges Gottesbild führte der Pharao Echnaton in Ägypten um das Jahr 1350 vuZ ein, indem er den Sonnengott als einzigen Gott ansah, von dem alles ausging. Die Anhänger anderer Gottheiten verloren dadurch allerdings ihre Geschäftsgrundlage und wurden so Feinde des neuen Kultes. Nach dem Tod Echnatons holten sie ihre alten Götter wieder her, und sie konnten ihre alte Religion weiterführen.
(Anmerkung : vuZ="vor unserer Zeitrechnung". Ich vermeide die Bezeichnung vChr., denn wir wissen nicht, wann und wo Christus geboren wurde. König Herodes starb 4 vuZ. Die in der Bibel erwähnte Volkszählung des Kaisers Augustus war frühestens 6 nuZ. Man diskutiert noch immer, ob Jesus im Jahr 7, 4 oder 2 vuZ geboren wurde. Z.Z. wird die Angabe seiner Geburt 2 vuZ in Nazareth (nicht Bethlehem) bevorzugt. Wikipedia favorisiert die Jahre 7 vuZ - 4 vuZ.)

Im Laufe der Zeit entstand, insbesondere an Orten, wo viel Handel getrieben wurde, eine Vermischung von Kulten aller Art. Es gab Stadtgötter, Stammesgötter, Fruchtbarkeitsgötter, dazu noch Götterfamilien, alles bunt gemischt durcheinander. Die Götter wurden verehrt an Stätten in der Natur oder in Tempeln. Fruchtbarkeitsgöttern wurde in Häusern gehuldigt, die gewisse Ähnlichkeiten mit Bordellen hatten.


Eine Erwähnung verdient der Jahwe-Kult in Palästina. Denn dessen Kultbuch wurde später das Alte Testament des Christentums. Es ist auch die Basis des Islam.
Ursprünglich war Jahwe der Stadtgott von Jerusalem, damals eine Festung in der abgelegenen Provinz. Jahwe war nur einer der vielen dort verehrten Götter.
Ab etwa 700 vuZ gab es in Jerusalem eine fundamentalistische Partei, die eine Kultreform anstrebte. Der König Josias von Jerusalem (Regierungszeit 640-609 vuZ) war dieser Partei sehr zugetan. Er erhob den Stadtgott Jahwe zu einem einzigen Gott, nahm ihm die Göttin Aschera weg und ließ alle anderen Kulte in seinem Reich vernichten (2 Kön 23).
Weiterhin sollte Jahwe nur noch in einen Tempel, dem in Jerusalem, verehrt werden. Damit wurde Jerusalem kultisch zur Hauptstadt seines Reiches.
Daneben gab der König Josias zwei Bücher in Auftrag :

Im Jahr 622 vuZ wurde dann bei einer Renovierung im Jahwe-Tempel dieses Gesetzbuch "gefunden" (2 Kön 22). Josia installierte gleich darauf feierlich den neuen Kult in einem großen rituellen Akt.
Die Bücher des Josias wurden bis etwa 300 vuZ noch mehrere Male grundlegend überarbeitet, geändert, erweitert und an die Zeit angepasst.

Die Archäologen sind mittlerweile überzeugt, dass die Bibel keine wunderbare Offenbarung ist, sondern ein Ergebnis der menschlichen Einbildungskraft. Vom Auszug aus Ägypten, von Mose und seinem Zug durch die Wüste, von der Landnahme in Kanaan, von dem König Salomo und seinem Reichtum wurde bisher nichts - aber auch gar nichts - gefunden, obwohl man die in der Bibel genannten Orte sehr gründlich untersucht hat. Nur der Name David wurde auf einer Stele einmal gefunden, wo ein aramäischer König sich brüstete, dem "Haus David" eine Niederlage beigebracht zu haben. Man nimmt deshalb eine Davidische Dynastie von Königen an.
David war höchstens Häuptling eines Hirtendorfes, das Jerusalem hieß. Die Gegend dort war um 1000 vuZ, als König David regiert haben soll, bettelarm, ohne Schriftgelehrte, eben eine primitive Hirtenkultur. Für ausreichende Landwirtschaft gab der Boden nicht genug her.

Neu im Gesetzbuch des Josias ist der soziale Aspekt. Hier wird erstmals gefordert, die Menschenwürde zu achten und den Armen zu helfen.
So steht im Deuteronomium unter Anderem :


Das Christentum hat später den Jahwe-Kult vereinnahmt, aber mit einer viel stärkeren sozialen Komponente. Die Bücher des Jahwe-Kultes werden übernommen und ergänzt um Bücher des Lebens Jesu, um die Apostelbriefe und um die Offenbarung des Johannes.
Einige Gebote des Jahwe-Kultes werden von Jesus aber definitiv außer Kraft gesetzt, wenn er lehrt :

Der soziale Aspekt wird im Christentum besonders deutlich in den Gleichnissen des Jesus. Es seien hier nur einige Zitate angegeben:
Gerade das letzte Zitat, welches übrigens nicht von Jesus direkt stammt, sondern in der Gemeinde des Matthäus seinen Ursprung hat, machte die Hilfe für die Bedürftigen zu einem Opfer an den Gott des Christentums.

Selbst wenn man von den vielen Verfälschungen und Erweiterungen der Aussagen des Jesus einmal absieht, so bleibt ein fundamentaler Kern der Gleichnisse, der weitgehend original ist. Bei den Verfälschungen ist besonders anzumerken, dass Jesus selbst nie beabsichtigte, eine eigene Religionsgemeinschaft oder "Kirche" zu gründen. Die Gründung des Christentums ist weitgehend das Werk des Apostels Paulus.


Da große Teile des Jahwe-Kultes in späteren Religionen übernommen wurden, so ist eine Besonderheiten dieses Kults näher zu betrachten.
Du sollst Dir kein Bildnis machen von Deinem Gott. So heißt eines der Gebote des Jahwe-Kults. Es wird auch gerne behauptet, man könne den Gott nicht sehen. Aber auserwählte Würdenträger haben ihn doch gesehen. (2.Mos 24,9-11)
Die aus dem Jahwe-Kult entstandenen Religionen übernahmen das Gebot, sich vom Gott weder ein gemaltes Bild noch eine Statue anzufertigen. Der Islam beachtet das Gebot besonders streng. Im Christentum ist man weitgehend davon abgegangen.
Aber woher kam dieses Gebot? Die einfachste Erklärung ist, dass den Anhängern des Kultes die Götterstatue des Jahwe abhanden gekommen ist. Es gibt da aber keinerlei Beweis oder Beleg dafür - es aufzuschreiben wäre damals total unehrenhaft gewesen.
Man hat dann das Modell eines unsichtbaren Gottes geschaffen. Es gab nun keine Statue mehr, die die Gläubigen gefühlsmäßig mit dem Gott gleichsetzen konnten. Der Gott war nicht mehr be-greifbar. Deshalb konnten nun die Bibelschreiber weit verwegenere Behauptungen über ihn loslassen. Nach den Schriften benützte er angeblich sogar andere Völker um Israel zu strafen. Und Strafe war nicht nur denen zugedacht, die Jahwes Gebote nicht befolgten, sondern vor allem jenen Menschen, die den Bibelschreibern und ihrer Partei verhasst waren - beispielsweise König Manasse, dem die Schuld für die viel spätere Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier angedichtet wurde. Auf diese Weise wurde Jahwe durch den von Josias eingeführten neuen Kult zu mehr als nur zu einem Stammesgott Israels gemacht.
Da der Gott Jahwe - nach den Vorstellungen der Bibelschreiber - sogar Krieg führen sollte bis hin zu Barbareien, vergleichbar mit einem Völkermord (1 Samuel 15), so musste sein Gottesbild entsprechen bestialisch ausfallen.

Aber wie ist es nun mit in den Vorstellungen der Menschen? Die Eigenschaften des Gottes, seine Gebote, und was er fordert und was er verbietet, wird ja in den heiligen Büchern beschrieben.
Wenn wir Menschen nun einen Text lesen, so werden Vorstellungen sinnlicher Erfahrungen miteinander in unserem Denken verknüpft. Dabei machen wir uns unwillkürlich Bilder in unserem Kopf, die unsere persönlichen Erfahrungen mit den Worten in Verbindung bringen. Der Mensch ist nun einmal ein Augen-Tier. Wenn man das Wort Güte liest, so erinnern wir uns an die Bilder eines Moments, wo uns von einem anderen Menschen Güte erwiesen wurde.
Wenn wir den Begriff "Gott" hören, wird so eine sinnliche Erfahrung mit dem Begriff "Gott" verknüpft. Diese Erfahrung ist in den meisten Fällen ein Bild, welches sehr individuell ist. Keine Religion kann uns diese Vorstellung verwehren, denn diese Vorstellung ist menschlich.

Ein Gottesbild ist also immer vorhanden. Es ist ein Sammelbegriff für das Aussehen, die Eigenschaften, die Gebote und Verbote eines Gottes. Zum Gottesbild zählen auch die Arten der Verehrung des Gottes, eingeschlossen die Rituale und das Aussehen der Kultstätten.

Eine Religion entsteht nun durch die Festlegung auf ein bestimmtes Gottesbild. Es ist sozusagen das Geschäftsmodell der Religionsgemeinschaft, um sich von anderen Religionen abzugrenzen. Deshalb verteidigen Religionsgemeinschaften auch immer ihr ureigenstes Gottesbild, denn es sichert ihre Einnahmen.
Die Religionen legen auch großen Wert darauf, den Gott und seinem Namen hoch in Ehren zu halten. Sie meinen damit weniger den Gott selbst, sondern vor allem das von ihnen verbreitete Gottesbild. Wäre es anders, so gäbe es keine Glaubenskriege.


Wie aber sieht der Gott das ihm unterstellte Gottesbild?
Wäre der Gott ein Mensch, so würde er vielleicht schmunzeln. Aber der Gott ist nun einmal nicht auf die Menschen angewiesen. Ihm kann es völlig egal sein, wie die Menschen über ihn denken. Er braucht sie nicht. Je weniger er mit ihnen in Kontakt kommt, desto einfacher wird sein Leben. Er wird dann nicht in die Streitigkeiten der Menschen hineingezogen.
Wie dreist und anmaßend ist es dann doch von den Priestern eines Gottes, wenn sie dem Gott Interessen andichten, die dieser nie offenbarte. Denken wir nur an die Kreuzzüge, die Hexenverbrennungen und die Glaubenskriege.


Denken wir nun auch an das Gottesbild des Jesus. Jesus predigte die Liebe. Denken wir an den Vatergott, zu dem wir "Papa" sagen dürfen, an den sich jeder hinwenden darf. Denken wir an diesen Gott, der die Armen und Ausgestoßenen so ganz besonders liebt.
Dem liebenden Gott, den Jesus verkündet hat, ist es gleichgültig, wie wir uns ihm nähern - ob wir ihn uns als Hirten vorstellen oder als das Monster, das in der Offenbarung des Johannes als Lamm auf dem Thron sitzt.
Die Gottheit ist erhaben über die Vorstellungen, die Menschen von ihr haben. Dieser Gott, den Jesus verkündet hat, liebt alle Menschen, auch die, welche nicht an ihn glauben.
Ganz besonders aber kümmert er sich um jene, die von ihm weggegangen sind. Jesus hat es im Gleichnis vom guten Hirten dargelegt, wo der Hirte 99 Schafe verlässt um das eine, das sich verlaufen hat, zu suchen. (Mt18,12) Selbst wenn dieses Schaf gar nicht zurück kommen will, sucht er es. Und er lässt auch zu, wenn es nicht zurückkommen will.

Nicht alle Religionen haben solch ein menschenfreundliches Gottesbild. Um ein Beispiel eines üblen Gottesbildes zu nennen, brauchen wir gar nicht erst an Wotans Tafel in Walhall zu denken, wo der germanische Gott Wotan sich mit den verstorbenen Helden einer Schlacht gemeinsam besäuft.
Die Schilderungen der Hölle sind im Christentum schrecklich und abstoßend genug. Und man kann sich nicht vorstellen, dass ein Gott, der so etwas zulässt, ein guter Gott ist.
Gottesbilder wurden schon immer verwendet, um Menschen zu manipulieren, um ihnen Angst einzujagen, sie zu unterdrücken.
Liest man also die heiligen Bücher, so erkennt man das darin verbreitete Gottesbild.
Anhand des Gottesbildes kann man dann die üblen Gedanken und den damals zeitgemäßen Charakter der Schreiber dieser Bücher herausfinden. Das Übel liegt nicht bei der Gottheit, sondern bei den Verfassern der heiligen Bücher.
Was hältst Du von dem folgendem Zitat
  Erzähle mir Dein Gottesbild und ich sage Dir, was für ein Mensch Du bist.


An Ende komme ich auf die Frage vom Anfang zurück : Wie sieht Gott aus?
  Es ist eine weiße Leinwand, die Du selbst liebevoll bemalen darfst.

Und denke immer daran: Du musst nie das Gottesbild einer Religion abmalen. Du darfst das zwar.
Aber wie Du Dir Deinen Gott vorstellst, ist allein eine Angelegenheit zwischen Dir und der Gottheit selbst.
Wenn Du magst, kannst Du Dir Gott als Bild der Güte in allen Menschen vorstellen.

Ein zeitgemäßes und menschenfreundliches Gottesbild bietet uns Desmond Tutu an. Er ist der berühmte südafrikanische Erzbischof der anglikanischen Kirche, der mit anderen Menschen zusammen das dortige Unrechtsregime der Apartheid zu Fall brachte.
Seine Theologie ist eine Alternative.

Man sollte aber immer beachten, ob man sich nicht selbst oder andere schädigt, wenn man nach seinem eigenen Gottesbild lebt. Die Heiligenlegenden, das Mönchstum oder das Zölibat zeigen ja genug krankhafte Selbstschädigungen. Die Geschichte der Religionen zeigt dagegen die Schädigungen an den Mitmenschen.

Und wenn Du Atheist bist, so könnte für Dich das Wort "Gott" eine Illusion für das gemeinsame Gute in allen Menschen sein. Oder Du spielst bei einem Gottesbild eben mit einem Trugbild - falls Du überhaupt ein Gottesbild malst. In den Märchen, in der Werbung und in den politischen Berichterstattungen gibt es schon genug Trugbilder. Da kommt es auf ein Trugbild mehr oder weniger auch nicht an.
Menschen haben nun einmal einen Hang zu einem Mächtigen im Hintergrund. Der könnte im Notfall ja helfen. Meist ist diese Unterstützung jedoch eine vergebliche Hoffnung. Wenn aber - entgegen aller Erwartung - doch Hilfe kommt, so sind Menschen geneigt, weiter die Illusion eines Gottes zu pflegen.

Literatur

Israel Finkelstein, Neil A. Silberman : The Bible Unearthed. USA 2001.
  Deutscher Titel : Keine Posaunen vor Jericho. Die archäologische Wahrheit über die Bibel.
  Finkelstein ist Direktor des Archäologischen Instituts der Universität von Tel Aviv.

Gerd Lüdemann, Jesus nach 2000 Jahren, Lüneburg 2000.
  Lüdemann lehrte Neutestamentliche evangelische Theologie und
  Geschichte des frühen Christentums an der Universität Göttingen

Ludwig Feuerbach : Das Wesen des Christentums. Leipzig 1841.
http://www.archiv-swv.de/pdf-bank/Feuerbach%2C%20Ludwig%20-%20Das%20Wesen%20des%20Christentums.pdf

Jesse Bering : The God Instinct. London 2010.
  Deutscher Titel : Die Erfindung Gottes. Wie die Evolution den Glauben schuf.

Richard Dawkins : The God Delusion. London 2006.
  Deutscher Titel : Der Gotteswahn. Berlin 2007.

Christopher Hitchens : God Is Not Great. USA 2007.
  Deutscher Titel : Der Herr ist kein Hirte. München 2007.

Hoffnung für Alle. Das Neue Testament. Basel 1989.

Die Bibel. Nach der deutschen Übersetzung Martin Luthers.
Siehe auch www.bibleserver.com

Die Religion des Fliegenden Spaghettimonsters.

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