von Werner Sticht

Die Auseinandersetzung der katholischen Kirche mit Geschiedenen

Es handelt sich bei diesem Text um Erinnerungen mehrerer Person, die in den frühen 1960er Jahren als Kinder von katholischen Lehrern und Ordenspersonen betreut wurden.

Man muss sich zunächst einmal in den Geist der 50er Jahre zurück versetzen.
Ich beschreibe hier den Zustand in einer Kleinstadt mit etwa 3000 Einwohnern katholischen Bekenntnisses. Für sie steht eine Pfarrkirche zur Verfügung. Ein Pfarrer und zwei Kapläne waren damals für die Messen verantwortlich.
Jeden Sonn- und Feiertag gab es normale Messen um 6:00, 7:00, 11:00. Um 9:30 war das Hochamt - eine etwas länger dauernde Messe.
Beim Hochamt und der 11-Uhr-Messe waren alle Sitzplätze besetzt und viele Leute begnügten sich mit Stehplätzen. Um 6 Uhr war nur die halbe Kirche voll.
Jeden Werktag gab es eine Messe um 6:00 und um 7:00.
Um 6 Uhr waren immerhin 4 Bankreihen voll, um 7 Uhr die halbe Kirche.
Man kann sich hiermit gut ausmalen, welchen Einfluss damals die katholische Kirche auf die Bevölkerung hatte. Von so vielen Kirchgängern können die heutigen Pfarrer nur träumen.
Man kann sich jetzt auch vorstellen, welche Wirkung eine Aussage eines Pfarrers auf die Gläubigen hatte. Wenn der Pfarrer auf der Kanzel an einem bestimmten Tag des Jahres eine Person öffentlich als einen von den Sakramenten Ausgeschlossenen - weil fortwährend Sündenden - bezeichnete, so war das ehrenrührig, ehrverletzend. Der Pfarrer konnte auch nicht juristisch belangt werden, etwa wegen übler Nachrede.
Heute verurteilen Pfarrer "sündige" Schäfchen nicht mehr. Heute hätten Sie dadurch wieder den einen oder anderen Kirchensteuer-Zahler mehr verloren.


Unsere eigentliche Geschichte beginnt mit einem Liebespaar, nennen wir sie Hans und Marie. Beide sind katholisch. Beteiligt ist noch die Mutter von Marie, nennen wir sie Anna. Hans wohnte zur Untermiete bei Anna. Die noch ledige Marie wohnte auch noch in der Wohnung ihrer Mutter Anna.
Hans war aus der Kriegsgefangenschaft entlassen worden. Er hatte sich scheiden lassen, denn er konnte nicht mehr zurück in seine Heimat im Osten.
Als Hans und Marie sich kennen lernten, sich lieben lernten und Marie ein Kind erwartete, dachten sie beide ans Heiraten. Von staatlicher Seite gab es keine Probleme, obwohl man Anna wegen Kuppelei hätte verdächtigen können. Die Ehe wurde jedenfalls im März 1954 standesamtlich geschlossen.

Aber da gab es noch die katholische Kirche. Wegen einer kirchlichen Hochzeit dort anzufragen, war aussichtslos. Aber der Pfarrer erfuhr von der geplanten Hochzeit. Und er tat, wie ihm in solchen Fällen aufgetragen worden war.
Anscheinend versprach er sich wenig Erfolg von einem direkten Gespräch mit Hans und Marie. Dafür aber redete er noch vor der standesamtlichen Hochzeit ganz intensiv auf Anna ein. Er sagte ihr, dass es besser sei für Marie, wenn sie ein uneheliches Kind allein gebäre und aufziehe, als sich mit einem Geschiedenen zu verheiraten. Ein uneheliches Kind sei zwar eine Sünde und eine Schande. Aber eine Heirat mit einem Geschiedenen sei immerwährender Ehebruch und dauernde Unkeuschheit, dauernde Todsünde und folglich auch Ausschluss von den katholischen Sakramenten. Mit all seiner Überredungskunst versuchte er, Anna zu veranlassen, die Hochzeit doch noch zu verhindern. Er hat Annas Gewissen schwer belastet, aber für Anna zählte zuerst das Wohl ihres zukünftigen Enkels.

Hans und Marie waren dennoch weiter gläubige Kirchgänger. Nur gingen sie nicht mehr zu den Sakramenten. Kirchensteuer zahlten aber beide weiter.
Im Juli 1954 kam dann das gemeinsame Kind zur Welt. Für den Pfarrer war es ein Kind der Sünde. Für solche Kinder durften bei der Taufe die Glocken nicht geläutet werden. Anna brachte das Kind zur Taufe, denn die Eltern wollten sich die persönlichen Schmähungen des Pfarrers ersparen, die dieser bei solchen Gelegenheiten gerne von sich gab.
Er hätte sie mit langwierigen Ausführungen und vielen Worten als Sünder bezeichnet, die ihr sündiges Beisammensein trotz kirchlicher Ermahnung fortwährend ausübten und weiter sündigten. Er hätte seine Predigt abgeschlossen mit dem Wunsch, dass das getaufte Kind in ferner Zukunft einmal auf die Eltern einwirken möge, wieder auf den rechten Weg der Tugend zurück zu finden.
Ich selbst kann mich noch an solche seiner Tiraden erinnern, die er wirklich losgelassen hat.
Der Pfarrer ließ es sich auch nicht nehmen, von der Kanzel zu verlesen, dass Hans und Marie von den Sakramenten ausgeschlossen seien. Kurz zuvor hatte er Hans noch hochheilig versprochen, dass er so etwas nicht tun würde. Diesen Wortbruch hat Hans ihm später nie mehr vergessen.
Allgemein bekannt war und ist, dass genau dieser Pfarrer wohlhabende Handwerker und Geschäftsleute in ähnlichen Fällen mit sehr großer Nachsicht behandelt hat.

Wann der Pfarrer den Bischof benachrichtigt hat, kann nicht belegt werden. Jedenfalls bekamen Hans und Marie vom damals amtierenden Würzburger Bischof Julius Döpfner eine "Oberhirtliche Mahnung" (siehe unten).
Jetzt, ein halbes Jahr nach der Eheschließung und ein viertel Jahr nach der Geburt des gemeinsamen Kindes, forderte Döpfner das Paar auf, das "sündhafte Verhältnis zu lösen". Im Falle des Nicht-Befolgens dieser "väterlichen Mahnung" sehe sich der Bischof "genötigt, strengere Maßnahmen zu ergreifen."

Oberhirtliche Mahnung
Es ist verwunderlich, dass sich Döpfner, der ja als einer der Wegbereiter des Zweiten Vatikanischen Konzils gilt, sich für solche Taten hergab.

Hans und Marie bekamen noch ein zweites Kind. Bei der Taufe sollten wieder die Glocken nicht geläutet werden, denn dies war ja wieder ein Kind der Sünde. Diesmal wurde das Kind aber zusammen mit einem anderen Kind getauft, für das dann die Glocken geläutet werden durften.
Wieder wurde das Kind nicht von den Eltern, sondern von der Patin zur Taufe gebracht, weil der Pfarrer bei persönlichen Schmähungen gegen die Eltern - wegen deren angeblichen Sünden - höchst freigebig war.

Beide Kinder gingen später nicht in den katholischen Kindergarten - es gefiel ihnen dort nicht, warum auch immer.
Als das Mädchen am Kommunionunterricht teilnahm, bekam sie nie ein Fleißbildchen, obwohl sie nicht schlechter war als andere.
Als sie merkte, dass ihre Eltern nicht an den Sakramenten teilnahmen, dass diese selbst an Ostern das nicht taten, machte sie sich ernsthafte und tiefe Sorgen um deren Seelenheil. Ein Christ musste doch mindestens einmal im Jahr beichten. Sie verzweifelte fast bei der Vorstellung, dass ihre Eltern für immer in der Hölle braten würden.
Die Eltern waren einfach nicht im Stande, ihren Kindern von der Scheidung ihres Vaters zu erzählen. Sie hätten sich ehrlos gefühlt.
Als am Tage der Kommunion ein Erinnerungsbild an alle Kommunionkinder verteilt wurde, bekam das Mädchen das einzige beschädigte.
Als das Mädchen später von einer Nonne in Handarbeit unterrichtet wurde, waren die Zensuren 3-4, dafür wurde sie häufiger als die anderen auf die Finger gehauen. Nach einem Schulwechsel waren die Handarbeitsnoten dann 1-2. Sie wollte daraufhin sogar Handarbeitslehrerin werden. Auch heute noch kann sie wundervolle Handarbeiten herstellen.
Der Junge von Hans und Marie durfte nicht Messdiener werden. Aber als Sängerknabe durfte er mitmachen. Als die Sängerknaben jedoch gemeinsam mit dem Pfarrer eine Ferienfahrt nach Österreich machten, durfte der Junge aus unerklärlichen Gründen nicht mit.


In diesem Zusammenhang sei noch die Mischehen-Kampagne der katholischen Kirche in den 50er Jahren zu sehen. Eigentlich ist es nur ein letztmaliges Aufflammen von Kampagnen die schon über 100 Jahre früher losgetreten wurden. Die katholische Kirche wollte nicht, dass eine Person evangelischen Bekenntnisses eine Person katholischen Bekenntnisses ehelichte.
"Es ist doch nicht das richtige." So wurde ein katholischer Ehepartner in den Schaukästen vor den Kirchen zitiert.
Im Gegensatz zum Buch Esra 10 im Alten Testament forderte man die Paare jedoch nicht zur Scheidung auf. So barbarisch war man dann doch nicht.
Aber immer noch wurde der katholische Partner aufgefordert, den anderen zu bekehren. Ließ der katholische Partner zu, dass die Kinder nicht katholisch erzogen werden, wurde er/sie exkommuniziert.
Aber auch die evangelische Kirche erließ Sanktionen gegen den evangelischen Partner, etwa wenn die Trauung in einer katholischen Kirche stattfand, weil man in diesem Fall davon ausging, dass der evangelische Partner zum katholischen Bekenntnis gewechselt habe.

Ich kenne streng gläubige Paare, ein Partner evangelisch der andere katholisch, die sich auch damals gut verstanden, alle Anfeindungen von katholischer Seite - wenn auch mit Leid - gemeinsam durchstanden und die gesäte Zwietracht nicht aufkeimen ließen.

Siehe auch Deutsches Hirtenwort über die Mischehe im Januar 1958.

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