gehalten 2009 und, zeitlich etwas angepasst,
2019 anlässlich einer Hochzeit
Rede an die nächste Generation
Liebes Brautpaar,
mit Eurer Hochzeit brecht Ihr auf in eine neue Welt.
Es ist keine neue Welt wie ein Globus. Es ist die neue Welt eines neuen
Lebensabschnitts.
Ihr habt diesen Weg schon vor einigen Jahren begonnen. Aber jetzt habt Ihr Euch
als Ehepaar registrieren lassen. Und Ihr zeigt damit aller Welt, dass Ihr
füreinander bestimmt seid - Ihr tut das mit vollem Ernst und voller Ehrlichkeit.
Liebes Brautpaar, stellt Euch vor, Ihr wäret beide auf einer großen weißen
Ebene und in einiger Entfernung um Euch wäre heller leuchtender Nebel.
Ihr könntet Euch ganz klar sehen, und Ihr seht Euch liebevoll gegenseitig an.
Dieses Bild, diese Vorstellung, nur von Euch beiden, das ist das Zentrum
Eurer neuen Welt, in der Ihr mit Eurer gegenseitigen Liebe leben werdet.
"Liebe Deinen Nächsten wie dich selbst." So sagt ein altes Gebot.
Dieses Gebot fordert zuerst, dass Ihr Euch selbst lieben sollt.
Ihr sollt sagen : Ich mag mich, so wie ich bin, mit meinen starken und guten
Seiten, aber auch mit meinen schwachen und dunklen Seiten.
Man soll nach dem alten Gebot aber auch seinen Nächsten lieben.
Liebes Brautpaar, Ihr seid euch beide ganz nahe, ja, Ihr seid Euch die
Nächsten.
Ihr sollt zueinander sagen : Ich mag auch Dich mit all Deiner Güte und mit all
Deinen Schwächen.
Wer den anderen liebt, lässt ihn gelten, so wie er ist, wie er gewesen ist und
wie er sein wird.
Liebe bedeutet langmütig sein, einen langen Mut füreinander aufbringen und
diesen Mut immer wieder neu einüben; nicht prahlen, nicht reizen, Misserfolge
nicht nachtragen.
Nicht den eigenen Vorteil suchen, sondern den von Euch beiden. Einander
mitnehmen auf dem gemeinsamen Weg der Liebe, sich selbst mitnehmen lassen vom
anderen.
Denn ihr gebt Euch beide gegenseitig zum Geschenk.
Kehren wir zurück zu dem Bild, wo Ihr gemeinsam auf einer großen weißen Ebene
steht, umgeben von hellem Nebel.
Stellt Euch jetzt vor, der Nebel um Euch weicht etwas zurück und gibt die
Umrisse Eurer besten Freunde, Eurer Eltern und Eurer Familien frei.
Das wird Eure neue Geborgenheit, Eure nahe Gemeinschaft sein, in der Ihr
Euch wohlfühlen könnt.
Es ist die Welt, wo jeder den anderen kennt und ihm vertraut.
In der Vorzeit war das die Welt des Stammes oder der Dorfgemeinschaft.
Es ist eine Gemeinschaft, wo jeder Rat und Unterstützung bekommen kann, ohne
gleich dafür bezahlen zu müssen, wo Hilfe spontan gegeben wird und wo jedem
in Not geholfen wird.
Auch für diese nahe Gemeinschaft gibt es eine religiöse Regel :
Freut Euch mit den Fröhlichen, weint mit den Weinenden, seid eines Sinnes
untereinander.
Vergeltet nicht Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht vor allen Menschen.
Wenn möglich, haltet, soviel es an Euch liegt, Frieden mit allen Menschen.
Denn es ist die Lebensaufgabe für alle Menschen, den anderen Menschen zu
dienen.
Wieder kehre ich zurück zu unserem Bild am Anfang, mit dem Nebel.
Eure Freunde sind schon aus dem Nebel getreten.
Wenn nun der Nebel noch weiter zurückweicht, erkennt Ihr Eure Arbeitskollegen,
Eure entfernteren Freunde, die Personen, mit denen Ihr an vielen Tagen zu tun
habt.
Das ist Eure Lebenswelt, in der Ihr glücklich sein werdet.
Seht es als einen Erfolg an, wenn es gelingt, den einen oder anderen von den
Personen aus der Lebenswelt in Eure nahe Gemeinschaft zu bringen.
Eine innige Freundschaft ist sehr viel wert.
Wieder gibt es ethnische Regeln, die hier weiterhelfen. Sie lauten :
Kommt einander in Achtung zuvor, anerkennt und lobt die Verdienste anderer.
Redet nur gut über andere und verflucht nicht.
Haltet Euch nicht für Überlegene anderen gegenüber. Jeder hat seine Fähigkeiten,
auch wenn wir diese nicht sogleich erkennen.
Wenn sich der Nebel um Euch ganz gelichtet hat und den Blick bis in die Ferne
freigibt, so könnt Ihr die ganze Welt erahnen.
In dieser Welt, über die in der Zeitung und im Fernsehen berichtet wird,
kommt die Liebe anscheinend nur selten vor, dafür aber Gier, Mord und Macht.
Aber auch hier finden wir die Liebe. Erinnern wir uns doch einmal an die ganz
großen Errungenschaften in der Welt. Diese Errungenschaften sind nämlich
die großen und wahren Werke der Liebe.
Ich nenne ein paar:
-
Wer Hunger hat, dem geben wir zu essen.
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Pest, Pocken, Cholera, Tuberkulose, die großen Seuchen früherer Zeiten,
sie sind beseitigt.
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Kriege, die unzähligen, die wir aus den Geschichtsbüchern kennen, sie sind
stark zurückgegangen.
-
Sklaverei und Folter sind abgeschafft. Es gibt eine allgemein geachtete
Erklärung der Menschenrechte.
-
Wir haben komfortable Wohnungen, Elektrizität, Verkehrssysteme, eine
Kanalisation.
-
Wir haben eine bezahlbare Krankenversorgung, wirksame Heilmittel,
keine Läuse und Flöhe.
-
Das Wissen der Menschheit wird durch das Internet verbreitet und ist jedem
zugänglich.
-
Nach dem Arbeitsleben bekommen wir eine Altersrente.
-
Für Bedürftige, für Kranke, Behinderte und Waisen sorgt der Staat.
Es musste hart gearbeitet und schwer gerungen werden, um diese Werke der Liebe
zu erreichen. Wir sollten unseren Vorfahren immer wieder Danke sagen.
Aber diese Werke der Liebe sind bedroht. Denn es gibt Leute, die diese
Errungenschaften zurücknehmen wollen.
Was sind das für Leute? Wie erkennt man sie?
Ein weiser Mann wurde einmal gefragt : "Woran erkennt man die falschen
Propheten ?"
Er hat darauf gesagt : Nicht an ihren Worten, sondern an ihren Taten werdet
ihr sie erkennen !
An seinem Tun erkennt Ihr nämlich die Güte eines Menschen. An seinen
Worten erkennt Ihr jedoch seine Lügen und seine Heuchelei.
Die falschen Propheten - es sind Heuchler, die Wasser predigen, selbst aber
viel Wein saufen.
-
Die Heuchler reden vom Sparen und wollen den Ärmsten das Geld kürzen.
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Sie reden von Überalterung und Privatvorsorge, wollen aber die
Altersrente abschaffen.
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Sie reden von Reformen, wollen aber das Sozialsystem schwächen und die Gelder
in die Rüstung und in ihre Kriege stecken.
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Sie reden von Steuersenkung, wollen das aber nur für die ganz Reichen.
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Sie reden von Privatisierung, weil sie unfähig sind, ihre eigenen
Staatsgeschäfte zu führen.
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Sie reden von Befreiung und humanitärer Hilfe für ein fernes Volk, führen aber
Kriege zum Raub der dortigen Bodenschätze.
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Sie locken Fremde ins Land, um die Löhne zu senken; besonders für Arbeiten,
die keiner - wegen zu geringer Bezahlung - leisten will.
-
Sie schüren aber auch Hass gegen Fremde, damit die Menschen ihre Verbitterung
nicht an den Heuchlern auslassen, sondern an den Fremden.
Und sie nehmen für ihre Profitinteressen sogar die Zerstörung unseres Planeten
in Kauf.
Ihr habt Euren Verstand, mit dem Ihr diese Heuchler erkennt.
Lasst Euch die guten Werke der Vorfahren nicht zerstören. Wählt diese Heuchler
nicht, wenn sie sich in einer Demokratie zur Wahl stellen.
Unsere Vorfahren haben mit den genannten Errungenschaften
großartige Werke der Liebe geschaffen.
Sie taten es nicht aus Eigennutz oder Gewinnstreben, sondern aus Liebe.
Das Leid ihrer Mitmenschen zu lindern, war ihr hohes Ziel.
Wir sollen diese guten Werke fortführen und verteidigen.
Denn das bedeutet, die Liebe in die Welt hinaus zu tragen.
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