von Werner Sticht
Das Bild des Kreuzes
In jeder christlichen Kirche finden wir es. Es ist schon wie ein Markenzeichen,
wie ein Firmenlogo für die Dienstleistungen dieser Organisation, die dieses
Kirchengebäude bereitstellt. Auch im Wappen einiger Würdenträger taucht es auf.
Gläubige Christen nehmen das Kreuzzeichen als rituelles Zeichen Ihres
Bekennens, aber auch als Segenszeichen an. Der Religionsstifter wurde ja an
einem Kreuz grausamst zu Tode gebracht.
Genau daran soll das Kreuz erinnern.
Die Todesstrafe, eine Bestrafung eines Übeltäters, die zu dessen Tod führt,
ist in einigen Staaten heute noch üblich. Dieses Töten ist ein geplantes
ritualisiertes Töten aus Rache und damit ein Töten aus niederen Motiven.
Somit ist es auch ein staatlich organisierter Ritualmord.
Die Verursacher dieses Ritualmordes werden nicht zur Rechenschaft gezogen.
Und die Todesstrafe verstößt gegen die
UN-Menschenrechtscharta.
Man erkennt die kulturelle Reife eines Staatswesens an dessen Einstellung
zur Todesstrafe.
Die Kreuzigung war wohl die bestialischste Art, wie die Römer (aber auch schon
vorher viele archaische Völker) hinrichteten.
Die Römer wandten die Todesstrafe der Kreuzigung an gegen Sklaven, weiterhin
gegen übelste (nicht-römische) Verbrecher und ausländische Kriegstreiber, die
eben den "römischen Frieden" brachen.
Aus der Sicht der Römer hatte ein Gekreuzigter übelste Schande auf sich geladen.
Und genau diese Schande ordneten sie dem Gründer der christlichen Religion zu.
Ich nenne ihn im Folgenden "Jesus", wie das fast alle tun,
obwohl sein wirklicher Name wie Jeschu oder Jeschua lautete.
Es war den Römern des 1. Jahrhunderts sicher schwer zu vermitteln, dass so ein
Verbrecher ein Gott sein soll, ein Erlöser der Menschheit, und dass der auch
noch vom Tode auferstanden sein soll, wenn er vorher sogar eine Kreuzigung
hat hinnehmen müssen. Über die theologischen Erklärungen des Apostels Paulus
waren die logisch denkenden Griechen aus den Philosophenschulen gar nicht
begeistert. Sie unterstellten Paulus, er sei betrunken. Dennoch fand die neue
Religion mit ihrer Hinwendung zu einem Gott, dessen Prophet schändlichst
getötet wurde, immer mehr Anhänger.
In den katholischen Kirchen findet man nicht nur das Zeichen des Kreuzes allein.
Dort hängt auch der Körper des Hingerichteten am Kreuz,
dargestellt gemäß den überlieferten Quellen. Der Hingerichtete strahlt aber
eine gewisse Erhabenheit aus, die ganz anders ist, als die Haltung eines
wahrhaft Gekreuzigten - selbst das Bild von Matthias Grünewald im Isenheimer
Altar (heute in Colmar, siehe auch
Wikipedia)
gibt nur einen annähernden Eindruck von der Entsetzlichkeit dieses
Tötungsverfahrens.
Das Ziel bei einer Kreuzigung war das Zufügung von ärgsten Schmerzen über
einen möglichst langen Zeitraum. Es begann mit dem Annageln, wobei die Nägel
durch die Fersenknochen getrieben wurden. In dem oft tagelangen Todeskampf
wurden sämtliche Selbsterhaltungs-Systeme des menschlichen Körpers nacheinander
bis zum Zusammenbruch ausgereizt. Verbunden war das mit dauernden unerträglichen
Schmerzen. Man gab dem Opfer noch Wasser, damit ein vorzeitiger Tod durch
Verdursten unterblieb.
Am Ende folgte Ersticken, Kreislaufkollaps oder Herzversagen. Wenn man einem die
Glieder brach, um ihn so schneller sterben zu lassen, so war das eine echte
Erleichterung. Weitere Details siehe
"Kreuzigung" in Wikipedia.
Der Apostel Paulus fragt : Tod, wo ist Dein Stachel ? Und er verweist auf Jesus,
der sogar eine Kreuzigung durchgestanden hat und letztlich durch seine
Auferstehung Sieger blieb.
Nun stellt sich für uns die Frage : Was ist schändlicher :-
ein kreuzigungswürdiges Verbrechen begangen zu haben oder
-
eine Kreuzigung angeordnet oder durchgeführt zu haben ?
Nicht nur im Fall Jesus liegt die größte Schande bei denen, die eine Kreuzigung
mit veranlasst haben. Das Kreuz mit Körper ist genau die dazu gehörende Anklage.
Es zeigt, was Menschen anderen Menschen antun können und auch schon angetan
haben - am Beispiel jenes Menschen, der wegen seiner Auferstehung von den
Christen als Gottes Sohn verehrt wird - der für sie das Gute und die Liebe
selbst ist.
Und dieser Gott hat jenes Leid - nach christlichem Glauben - aus Liebe zu den
Menschen auf sich genommen.
Dies ist auch eine so große Schuldzuweisung an die Menschen, dass man im Jahr
313, nachdem die christliche Religion im Römischen Reich toleriert wurde,
die Kreuzigung durch andere Hinrichtungsarten ersetzte.
Selbst wenn man nichts Positives im Christentum sehen mag, es hat zumindest
die Abschaffung der Kreuzigung bewirkt.
Diese Anklage, die das Bild des Kreuzes erhebt, war besonders beeindruckend
für die Armen, für die Sklaven, denn gerade für die war ja die Kreuzigung
zuerst vorgesehen.
Die reichen Römer selbst wollten die Kreuzigung als Tötungsart gar nicht
wahrnehmen. So etwas gehörte zum Sklavenhandel. In ihrer eigenen Lebenswelt
durfte es so etwas nicht geben.
Mit dem Christentum wurden sie aber zwangsläufig damit konfrontiert.
Und dieser Jesus hatte es sogar geschafft, die Kreuzigung durchzustehen und
dann vom Tod aufzuerstehen. Das geschah weil er Gottes Sohn war.
Wahrlich eine beachtliche Aussage.
Selbst wenn man nicht an die Auferstehung glaubt, ja auch wenn man gar nicht an
einen Gott glaubt, so bleibt doch die Anklage, dass Menschen so bestialisch
morden können. Und deshalb ist das Kreuz auch die Mahnung, niemandem Schmerzen
und Tod zuzufügen - das Opfer könnte (zumindest für den gläubigen Christen) ja
Gott selbst sein. Denn es gibt den Satz des Jesus :
Was ihr dem Geringsten meiner Brüder getan habt, das habt ihr mir getan.
Das gilt für gute und auch für böse Taten.
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