von Werner Sticht
Beten, ohne an Gott zu glauben
Der Titel scheint ein Widerspruch in sich zu sein.
Kann denn das Beten, jene Kontaktaufnahme der Gläubigen zum Übernatürlichen,
auch für Menschen erschlossen werden, die an keinen Gott glauben ?
Ich versuche es einmal.
"Beten", das heißt mit dem (oder mit einem) Gott oder sonstigem heiligen
Wesen zu reden. Man betet in den christlichen Religionen ja auch zu Heiligen,
die im christlichen Sinne keine Götter sind, sondern Vermittler zwischen Mensch
und Gott, die aber doch Hilfe gewähren können.
Wenn ich bete, so nehme ich Kontakt auf mit einem heiligen oder mit einem
göttlichen Wesen. Zunächst spreche ich dieses Wesen an. "Vater unser", oder
"Gegrüßet seist Du" oder auch nur "Heiliger ...". Es folgt dann noch die
Aufzählung erhabener Eigenschaften dieses heiligen Wesens - etwa
"der Du bist im Himmel".
Ein wichtiger Bestandteil des Gebetes ist die Danksagung an das heilige Wesen.
Man dankt für gewährte Hilfen, für erfüllte Bitten, aber auch für das gute
Gelingen einer mühevollen Arbeit.
Wenn eine Sache nicht so ausging, wie man es im früheren Gebet erflehte, so
übt man sich in Demut und sagt "Dein Wille geschehe" - auch wenn man im
schweren Unglück verbittert fragt: "Warum gerade ich ?"
Der für den betenden Menschen meist wichtigste Teil des Gebetes sind die Bitten
an das heilige Wesen. "Hilf mir ..." oder "Gib mir ...". Kein anderes Wesen,
nur das heilige Wesen, kann hier richtig helfen. Es soll das menschliche
Problem mildern, abschwächen, umgehen, oder gar lösen.
Im christlichen Evangelium steht zwar "Euer Vater weiß, was ihr braucht, noch
ehe ihr ihn bittet." (Mt 6,8). Aber dennoch will der Betende es mit eigenen
Worten, mit eigenem Fühlen, seiner Gottheit sagen, wofür er Beistand benötigt.
Nicht vergessen sollte man Selbstverpflichtungen, die sich der Betende manchmal
selbst auferlegt - etwa "wenn mein Sohn vom Krieg wieder heimkommt, wallfahre ich
zum Gnadenbild in yy". Aber auch das immer wieder im Vater-unser versprochene
"wie wir vergeben unseren Schuldigern" ist so eine Selbstverpflichtung.
(Wisse also, Vater-unser-Betender, dass du da einen Pakt eingehst, dessen
Erfüllung Gott nachprüft !)
Aber machen wir es uns beim Beten nicht etwas zu einfach ?
Wenn ich Gott danke, habe ich da nicht auch anderen - irdischen - Personen
zu danken ?
Wenn ich für mein täglich Brot danke, hat da nicht auch jener Dank verdient,
der gesät, jener der geerntet, jener der gebacken und jener der verkauft hat ?
Jeder hat seine Arbeit geleistet.
Man mag einwenden, er habe für seine Arbeit Geld bekommen. Aber das ist nicht
genug.
Ein gedungener Mörder kriegt ja auch Geld für seine Arbeit, mancher
Lobbyisten-freundliche Politiker seine Schmiergelder oder ein zockender
Banker bekommt ja auch seine Boni.
Wer aber Brot für andere herstellt, tut dagegen eine Arbeit zum Nutzen aller
Menschen. Und dafür sollten wir wirklich Dank sagen.
Unser Dank gebührt besonders jenen, die Dinge tun, für die wir im Gebet
auch Gott danken.
Wenn ich Gott um etwas bitte, so stehe ich vor einem Problem, das ich nicht
selbst erledigen kann. Habe ich denn auch alles versucht ? Habe ich denn auch
geholfen, wo immer ich konnte ?
Hilf Dir selbst, so hilft Dir Gott. Das ist ein Ausspruch aus dem 16.
Jahrhundert. Es ist eine Aufforderung : Was kann ich selbst tun, um wenigstens
einen Teil des Problems zu beeinflussen ?
Wenn ich für Verletzte eines Unglücks bete, kann ich da nicht zusätzlich auch
eine handfeste oder materielle - wenn auch bescheidenen - Hilfe leisten ?
Denn, wenn viele auch helfen, ist das Problem gleich weniger schrecklich.
Und ist dies denn nicht auch eine wichtige Selbstverpflichtung, die wir
vielleicht auch dem göttlichen Wesen versprechen sollten ?
Wie wäre es mit einer Auffrischung meines früheren Erste-Hilfe-Kurses ?
Das Gebet ist die Kontaktaufnahme mit dem göttlichen Wesen.
Aber - habe ich auch zu allen Menschen Kontakte hergestellt, die mir bei meinen
Problemen helfen könnten ? Habe ich sie gefragt, ob sie einen Rat wissen ?
Habe ich nach Hilfsinstitutionen gesucht und diese befragt ?
Habe ich im Internet gesucht ?
Habe ich meine Erfahrungen schon an andere weitergegeben, die mit ähnlichen
Problemen zu kämpfen haben ?
Habe ich mein Möglichstes getan, mit meinen Mitmenschen zusammen, das
Problem zu lösen ?
Es ist ja so einfach, alles einem Gott anzudienen und zu sagen, es liege alles
in seiner Hand. "Ich gebe mein Kind in Gottes Hand", sagte eine Mutter,
die es nicht fertig brachte, ihr Kind ausreichend zu beaufsichtigen.
Als das Kind einen Vorhang im Kindergarten anzündete, wunderte sie sich nur,
warum nicht mehr passiert war.
Beten bedeutet eben nicht, die Hände zu falten und dann die Hände in den Schoß
zu legen.
Wie betet nun einer, der an keinen Gott glaubt, der aber doch am Wohl und
am Fortschritt für alle Menschen interessiert ist ?
Wahrscheinlich wird er sich in Erinnerung rufen, was im Laufe des Tages
gut gelaufen ist. Er wird in Dankbarkeit sich erinnern an jene, die ihn
unterstützt haben. In Liebe wird er an sie denken. Und er wird zu schätzen
wissen, was sie getan haben.
Er wird ihnen auch helfen, wenn sie selbst Probleme haben werden. Überhaupt
wird er allen anderen auch helfen, denn geleistete Hilfe bekommt man zurück,
meist von einer Person, von der man es nicht erwartet hätte.
All diese Erinnerungen sind ja Bestandteile der Geschichte des eigenen Lebens.
Wenn man die Erinnerungen wiederholt, erlernt man auch die eigene Geschichte.
Man gibt dem eigenen Leben den Stellenwert und die Bedeutung, die ihm zustehen.
Dabei erkennt man auch den Wert des eigenen Selbst.
Etwas abweichend von den christlichen Gepflogenheiten mag ein dem Buddhismus
Nahestehender sich auch mit mit seinem eigenen Selbst befassen.
-
Er wird sich auf seinen Körper konzentrieren, Unregelmäßigkeiten erkennen und
auf Besserung achten.
-
Er wird über seine Gefühlswelt nachdenken und feststellen, was ihm gut getan hat und was ihm weh getan hat.
-
Er wird auf sein Denken, seinen Geist, dessen aktuellen Zustand und dessen
Veränderungen beachten.
-
Er wird achtsam sein gegenüber den Menschen in seiner Umgebung, achtsam auch
gegenüber deren Gefühlen. Er wird auch achten auf die Dinge in seiner Umgebung.
Diese Achtsamkeit ist auch mit ganz persönlicher Dankbarkeit
verbunden.
- Dank an die Vorfahren für Dein eigenes Dasein,
- Dank an alle, die Dir ihr Wissen gaben,
- Dank an alle, die Deine Nahrung herstellen,
- Dank an Deine Körper, Dein Bauchgehirn, diesen Saurier in Dir, der auch
Deine Verdauung regelt, Deinen Blutkreislauf einstellt.
Sei ihm ein guter Freund und habe Mitgefühl mit ihm, wenn er mal nicht so
richtig kann. Er ist Dein wichtigstes Haustier.
Es ist für die Lebensplanung nun einmal wichtig
- die eigene Gefühlswelt wahrzunehmen,
- die eigenen Gefühlswallungen zu beherrschen,
- die eigenen Gefühle zum Handeln zu nützen,
- Mitgefühl anderen Menschen gegenüber zu haben.
Wer an keinen Gott glaubt, wird einen Gott nicht um etwas bitten.
Wenn er aber am Wohl seiner Mitmenschen interessiert ist, so er wird aus
tiefsten Herzen wünschen, dass es den Menschen in Not besser gehe.
Er wird sein Mitgefühl verinnerlichen denen gegenüber, die Leid tragen.
Er wird sich Gedanken machen, was er persönlich tun kann, dieses Leid
abzumildern. Er wird sich überlegen, welche Menschen er unterstützen kann.
Eigene Probleme wird er selbst zu lösen versuchen. Trost wird er finden bei
seiner Familie, seinen Angehörigen und seinen Freunden. Er muss nur mit ihnen
sprechen, offen sein zum Gespräch. Eine mitgeteilte Sorge ist nur eine halbe
Sorge, denn der Zuhörende hat deine Sorge mit dir geteilt und er hat
einen Anteil abgenommen.
Er braucht auch im Leid nie verzweifeln, denn die Gesamtheit der Menschen
kümmert sich um ihn. Bei Krankheit kommt ein Arzt. Bei einem Unfall rücken
schnellstmöglich die Rettungsdienste an. Die Mitmenschen tun das Möglichste.
Er braucht im Leid seinen Gott nie fragen "Warum gerade ich ?", denn einen Gott,
der ihm dieses Leiden auferlegt haben könnte, gibt es für ihn nicht.
Leid und Tod sind für ihn natürlich und gehören zum Leben, wie die Geburt,
die Liebe und das Glück.
Dann braucht er auch keine Angst haben, dass ihn der Teufel holt, ihn auf
ewige Zeiten martert und foltert, weil er vielleicht einmal einer lächerlichen
Kleinigkeit, wie etwa dem katholischen sonntäglichen Messebesuch, nicht
nachgekommen ist.
Und was ist mit dem Leben nach dem Tode ?
Nun, dieses Leben führen Deine Kinder, lieber Leser. In Ihnen lebst Du weiter.
Sei lieb zu ihnen, denn sie sind Dein Weiterleben nach dem Tode. In ihrer
Erinnerung wird sogar Dein jetziges Sein kurze Zeit überdauern.
Aber auch in den Werken, die Du hinterlassen hast, lebst Du weiter. Es sind die
Werke, die für spätere Generationen nützlich sind. Es müssen keine großen
Werke sein. Denke eher an einen Artikel in Wikipedia, einen hilfreichen
Beitrag in einem Internet-Forum oder an ehrenamtliche Hilfe für einen Verein
oder für Andere.
Wohlgemerkt :
Beten setzt voraus, Verantwortung anderen Menschen gegenüber zu übernehmen
und am Wohl aller Menschen interessiert zu sein.
Wer nur an sich oder nur an sein Geld denkt oder an den Profit seines
Unternehmens und dabei das Wohl der anderen Menschen vergisst, der braucht
nicht zu beten - in früheren Zeiten sagte man, er sei dem Feuer der Hölle
verfallen.
Was bringt es denn, wenn Du Gott um mehr Geld, nur für Dich selbst, anflehst ?
Du betrügst Dich selbst und unterwirfst Dich Deiner eigenen Gier.
Ein solcher Mensch ist es nicht wert, dass spätere Generationen sich seiner
erinnern.
Wenn einer nur "seinem Land" dienen will, so muss er sich ernstlich fragen, ob
er dabei auch allen Menschen dient.
Länder, die Krieg führen oder daran (z.B. durch Waffenlieferungen) beteiligt
sind, können nicht allen Menschen dienen. Wenn Du Christ bist, kannst Du
ja einmal
Matthäus 5,38-48 lesen.
Krieg ist das schändlichste Tun, das Menschen begehen können.
Fast immer ist es ein wirtschaftlicher Grund, einen Krieg zu machen.
Kriegsziel ist heutzutage fast immer der Raub von Landflächen und
Bodenschätzen.
Ein Krieg kostet viel Geld. Der Raubzug muss also entsprechend viel einbringen.
Um die Kriegskosten klein zu halten, ist das erste Bestreben der Kriegstreiber,
den Krieg durch Steuergelder eines Staates finanzieren zu lassen.
Dazu brauchen die profitierenden Kriegstreiber nur üppige Spenden an geeignete
politische Vereinigungen oder Personen zu tätigen.
Die Heuchelei, die mit einem Krieg verbunden wird, ist auch ganz übel.
Die verbreitete Propaganda sagt dann, man würde den Krieg für das Wohl eines
anderen Volkes tun, oder man würde gegen einen angeblichen Bösewicht kämpfen.
Ausgesprochen verwerflich ist diese Heuchelei,
-
wenn der Krieg über Geheimdienste und dafür gerüstete Firmen geführt und
finanziert wird,
-
wenn die Krieger der eigenen Partei dann als edle Rebellen, als Opposition
oder gar als Freiheitskämpfer hochstilisiert werden und die der anderen Partei
als Terroristen beschimpft werden,
-
wenn die eigene Mitwirkung am Krieg dann noch geleugnet, beschönigt
oder maßlos untertrieben wird.
Krieg ist der Gipfel der Sünde - nicht der Sünde gegen einen Gott, sondern
der Gipfel der Sünde gegen die gesamte Menschheit.
"Nicht an ihren Worten, sondern an Ihren Taten werdet ihr sie erkennen."
hat einmal ein Weiser gesagt, als man ihn frage, wie man falsche Propheten
erkenne.
Mit "Worten" ist das gemeint, was die Kriegstreibenden in ihren Medien über sich
selbst verbreiten lassen - mit falschen Bildern und Texten.
Die Taten der Kriegstreibenden jedoch sind ihre Morde und das von ihnen
verursachte Leid und Elend.
Diese werden in den Medien der Kriegstreiber gerne verschwiegen.
Man erfährt davon jedoch in den Medien der von den Kriegstreibenden am meisten
beschimpften.
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