von Werner Sticht
Das kurze Leben des Anton Holzinger
Er wollte nicht zur SA. Deshalb starb er im KZ Dachau.
Herkunft und Elternhaus
Geboren wurde er am 22. Okt. 1909, "nachmittags um 10 Uhr", in Hammelburg,
Haus Nr. 106.
So hat es die Hebamme Karolina Hofbauer am 24.10. beim Standesamt gemeldet.
Der Standesbeamte hat den Namen der Hebamme als Kunigunde Hofbauer aufgeschrieben
- der erste amtliche Fehler im Leben des Anton Holzinger.
Wichtiger noch, als Antons Geburtsdatum wurde in allen späteren Dokumenten
der 23. Oktober 1909 genannt.
Das Haus Nr. 106 war später
die Adresse "Obere Stadtmauer 18", gegenüber dem Schlettenhof.
In den Häuschen dort wohnten arme Leute.
Es waren die Häckerhäuschen, weil dort die Häcker wohnten - Leute, die die
Erde in den Weinbergen hackten, um sich ihr Brot zu verdienen.
Heute gibt es diese Häuschen nicht mehr.
Die Eltern von Anton, waren Damian Holzinger und Juliana Kress. Vater Damian
arbeitete im Steinbruch auf dem Sodenberg, wo Basalt abgebaut wurde.
Um etwa 4 Uhr früh stand er auf und marschierte die etwa 8km zur Arbeit, die
um 6 Uhr früh begann.
10 Stunden Arbeit waren damals üblich. Dann lief er wieder nach Hause.
Mutter Juliana half in Haushalten, insbesondere bei Landwirten. Sie verdiente
sich auf diese Weise so manches Stück Brot.
Das Bild oben zeigt die Familie Holzinger. Sechs Kinder sind noch übrig.
Die ältesten beiden Söhne starben im Ersten Weltkrieg.
Das jüngste Kind wurde 1914 geboren. Daraus kann man schließen, wann das Bild entstanden sein muss. Wir nehmen an, um 1919 herum.
Links im Bild sehen wir Anton Holzinger, über den hier erzählt wird.
Es ist das einzige Bild, das wir von ihm haben. Er war damals 10 Jahre alt.
Mehrmals kam der Pfarrer zur Familie und fragte an, ob sie Anton oder ein
anderes ihrer Kinder auf eine höhere Schule schicken wollten. Aber die Familie
hatte einfach nicht die Mittel, das Schulgeld zu bezahlen.
Vater Damian starb im Oktober 1924, kurz vor Antons 15. Geburtstag.
Im Juni 1924 durfte Damian noch seine erste Enkelin Barbara in die Arme
schließen. Die Familie wohnte zu der Zeit in der "Hohgasse 149" - nach
Abschaffung der ortsweiten Hausnummern in der "Hohe Gasse 13",
der heutigen Dalbergstraße 13.
Historische Zusammenhänge
Wir müssen hier auch die Zeit etwas beleuchten, in der Anton Holzinger aufwuchs.
Als Ende 1918 der Erste Weltkrieg zu Ende ging, war die Versorgungslage der
Bevölkerung katastrophal. Es war schon ein Problem, an Grundnahrungsmittel zu
gelangen. Viele Menschen litten damals an Unterernährung.
Preis eines Eies 1914 - 1923
1914 | 1918 |
Okt.1922 | Juni 1923 | Nov.1923 |
0,08 | 0,25 |
180,-- | 5000.-- | 80 Milliarden |
Nach dem 1. Weltkrieg wurde Deutschland mit hohen Schadensersatzansprüchen
konfrontiert.
Wie in solchen Fällen üblich, wurde die Allgemeinheit, nicht die Verursacher
(z.B. Preußen, Hindenburg, Ludendorff),
zur Deckung dieser Schadenskosten herangezogen. Die Zahlungen erfolgten in
enormen Mengen von Sachwerten an die Anspruchsteller.
Als Folge kam es zur Warenverknappung in Deutschland und zu immer höheren
Preisen.
Als die Franzosen wegen schleppender Zahlungen das Ruhrgebiet besetzten, wurde
die Lage für die Bevölkerung immer ärger.
Der Geldwertverfall endete erst 1.1.1924, als eine neue Währung eingeführt
wurde - die Rentenmark, die zur späteren Reichsmark wurde.
Als Umrechnung wählte man 1 Rentenmark = 1 Billion Papiermark und
4,20 Rentenmark = 1 US Dollar.
Wer nur Geld hatte, verlor in dieser Zeit sein Vermögen. Wer Sachwerte
(etwa ein Haus) hatte, konnte viel von seinem Vermögen retten.
Wie immer, verloren die ärmeren Menschen am meisten.
Auch im Jahr 1923 litten viele Menschen Not in Deutschland, nicht nur in den
Kriegsjahren 1916 bis 1918.
Während Deutschland nach dem Krieg Reparationen für die durch den Krieg
angerichteten Schäden zahlen musste, blühte in den USA der Wohlstand.
Als eine Folge davon gaben die USA großzügig Kredite - ab 1924 auch an
Deutschland. Das Interessante daran war, dass Kredite aus den USA in manchen
Jahren doppelt so hoch waren, wie die Reparationen, die Deutschland
zu zahlen hatte. Dies führte von 1925 bis 1929 auch in Deutschland zu
einem neuen bescheidenen Wirtschaftswachstum.
Der wirtschaftliche Aufschwung in den USA war jedoch unkontrolliert. Zuletzt
wurden so viele Waren produziert, dass es dafür keine Abnehmer mehr gab.
Der Beginn der resultierende Überproduktionskrise ist als der
"Schwarze Donnerstag" (24.10.1929) bekannt. Erstmals sanken die Aktienkurse,
Firmen konnten ihre Waren nicht mehr verkaufen und mussten massenweise
schließen, die Arbeitslosigkeit stieg auf Rekordhöhen.
Bis 1932 sank die Industrieproduktion der USA auf etwa 25% von der von 1929.
Erst Mitte der 40er Jahre erreichten die USA die Produktionszahlen von 1929
wieder.
Arbeitslosenzahlen in Millionen
1929 | 1930 | 1931 | 1932 |
2.85 | 3.2 | 4.9 | 6 |
In Deutschland versiegten schon ab 1928 die Kredite aus den USA. Ein Abfallen
der Produktion folgte. Immer mehr Firmen mussten schließen. Die Arbeitslosigkeit
stieg mehr und mehr, bis sie 1932 einen Höhepunkt erreichte.
12 Millionen hatten Arbeit und 6 Millionen keine.
Selbst als das Ausland 1932 auf weitere Reparationszahlungen gänzlich
verzichtete, resultierte dadurch noch kein merkliches Abflauen der Krise.
Wieder litten viele Menschen Not. Quelle: Wikipedia.
Die Parteien stritten sich, wie die Krise bewältigt werden sollte.
Die Regierung wechselte mehrmals. Durch Notverordnungen konnten dringendste
Aufgaben bewältigt werden. In diesem Umfeld gewann die NSDAP immer mehr
an Austrieb, weil sie von der Wirtschaft großzügig bedacht wurde. So spendete
beispielsweise die Industrie 3 Millionen Mark (heute etwa 78 Millionen Euro)
allein für die Reichstagswahl März 1933 an die NSDAP und die "Kampffront
Schwarz-Weiß-Rot", eine Organisation der DNVP. Die NSDAP bekam 75% davon.
So konnte die NSDAP, zusammen mit der DNVP, am 30.1.1933 die Regierungsgeschäfte
übernehmen und den von ihr propagierten Führerstaat zu errichten beginnen.
Am 27.2.1933 brannte dann der Reichstag, und die Nationalsozialisten behaupteten
fälschlich, die Kommunisten hätten den Brand gelegt.
Hindenburgs "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat" wurde am Tag darauf, am
28.2.1933, erlassen. Damit wurden die wichtigsten Grundrechte, insbesondere das
Verbot der Beschränkung der persönliche Freiheit, Unverletzlichkeit der Wohnung,
Briefgeheimnis, Meinungsfreiheit und das Recht auf Eigentum eingeschränkt.
Göring ließ darauf die Kommunistische Partei verbieten und enteignen, sowie
deren Abgeordnete verhaften.
Es wurden allein in Preußen im April-Mai 1933 25000 Personen in "Schutzhaft"
genommen - unabhängig von den "Verhaftungen" durch SA und SS.
Siehe auch Wikipedia.
Große Teile der berüchtigten Schlägertruppe der NSDAP, die SA, wurden zur
Hilfspolizei erklärt, die nun unter den früheren Widersachern hemmungslos
wütete. Siehe Wikipedia.
Insbesondere jüdische Geschäftsleute und Kommunisten hatten unter ihnen zu
leiden.
In den Todesanzeigen jüdischer Bürger findet man dann Hinweise auf
"tragische Umstände", wenn wieder einmal ein Mensch von SA-Schergen im wahrsten
Sinne des Wortes tot geschlagen worden war.
Siehe auch Braunbuch ab S. 182.
Diese Regierung ab 1933 verschwieg die Arbeitslosigkeit und sorgte nur
dafür, dass die Arbeitslosen von den Straßen verschwanden. Es wurde
ein Rüstungsprogramm aufgelegt, das aus einbehaltenen USA-Krediten und aus
vielen, oftmals ungedeckten Krediten der Reichsbank finanziert wurde.
Zusätzliche Gelder wurden beschafft durch Einziehen des Vermögens von Menschen,
die nicht ins Weltbild der damaligen Machthaber passten, und die deshalb
auf brutalste Weise angefeindet und sogar bestialisch ermordet wurden.
Besonders die Enteignung der Gewerkschaften, der Sozialdemokraten und der
Kommunisten soll erwähnt werden, denn deren Enteignung wird heute oft
übergangen. Man gedenke nur der Erstürmung der Gewerkschaftshäuser nach
dem Brand des Reichstags.
Siehe auch Braunbuch ab S. 130.
Das Schicksal des Anton Holzinger
Der weitere Lebensweg des Anton Holzinger ist uns nur aus den Akten des
Staatsarchivs Würzburg bekannt.
Es ist da die Akte Landratsamt Kitzingen 814, worin Antons
Verhaftung, seine Verbringung ins KZ Dachau und die Mitteilung von seinem Tod
dokumentiert sind.
Weitere Angaben erfolgen aus der Akte Staatsanwaltschaft Würzburg
673 über den Prozess gegen den SS-Mann Otto Pfrang und dessen Verurteilung
wegen "Mordes an Anton Holzinger" sowie dessen vieler weiterer bestialischer
Verbrechen im KZ Dachau.
Etwa 1927 kam Anton Holzinger nach Würzburg. [KT2R] Es ist nur bekannt,
dass er ab etwa März 1931 zusammen mit einem Bekannten in einem einzelnen Zimmer
in Untermiete wohnte. Dieser Bekannte war Mitglied der KPD und war aktiv tätig
im Kampfbund gegen den Faschismus. Der Bekannte hat Antons Leben offensichtlich
beeinflusst, denn im September 1931 trat Anton selbst der KPD bei.
Sicherlich hat er damals auch die Kirche verlassen, denn später bezeichnete
er sich als Freidenker.
Als sein Bekannter im September 1932 aus dem gemeinsamen Zimmer auszog,
trennte Anton sich auch von der KPD. Er zahlte keinen Beitrag mehr und wurde
dadurch ausgeschlossen. Später erzählte er auch, er sei mit der Politik der KPD
nicht einverstanden gewesen. [KT9] Jedoch hat ihn diese Zeit zu einem
kritischen Staatsbürger gemacht, der sich von Propaganda nur noch wenig
beeinflussen ließ.
In sein Zimmer zog ein anderer Bekannter mit ein. Als dieser Anfang 1933
heiratete und das Zimmer ganz brauchte, suchte sich Anton eine andere Bleibe.
Um diese Zeit hatte Anton auch eine Freundin, Eva Schlereth.
Sie wohnte in Rimpar. Mit ihr zusammen hatte er ein Kind.
Im Frühjahr 1934 wollten die beiden heiraten.
Dazu kam es aber dann nicht mehr.
Anton Holzinger war von schmächtiger Gestalt. Er war etwa 165cm groß
und hatte schätzungsweise 90 Pfund Körpergewicht. [P316,P318]
Das war selbst für die damalige Zeit wenig.
Anton versuchte, so gut es ging, in der damaligen schweren Zeit durchs Leben zu
kommen. Es ist bekannt, dass er Zeitungen austrug. Ende 1933 war er jedenfalls
arbeitslos. Die damalige Regierung brachte die Arbeitslosen weg von der Straße
auf Bauernhöfe zur Arbeit dort. Anton kam im Dezember 1933 nach Prosselsheim,
etwa 20 km weg von Würzburg, auf den Bauernhof des Otto Göb.
Bei einem Gespräch, hatte Göb den Anton gefragt, warum er nicht bei der SA sei.
Anton hatte darauf geantwortet: "Die Regierung hat bis jetzt noch nichts
geleistet und da gehe ich nicht dazu. Ich gehe dazu wenn ich gesehen habe,
dass sie etwas geleistet hat."
Göb fragte weiter "Vielleicht Rotfront ?" Anton antwortete, er sei früher mal
bei Rotfront gewesen. (Rotfront war eine Kampforganisation der KPD.) [KT2]
Auch sagte Anton, dass die Arbeitslosen nicht weg seien, wenn sie bei den
Bauern untergebracht würden. [KT12]
Göb erfuhr weiter, dass Anton Freidenker war, früher katholisch war und nun
nicht mehr zur Kirche gehe.
Göb meinte darauf jedenfalls, einen Kommunisten vor sich zu haben und erzählte
das dem SA Sturmführer Leis aus Seligenstadt, der das dann übel aufbauschte
und am 5. Dezember 1933 in folgenden Worten zur Anzeige brachte :
... Anton Holzinger ... äußerte sich seinem Dienstherrn Otto Göb
gegenüber:
"Die jetzige Regierung habe noch nichts geleistet. Zur SA gehe er erst dann,
wenn die Regierung erst mal was richtiges gezeigt habe."
Auf die Frage Göbs, ob er katholisch sei, sagte er: "Ich war früher katholisch,
bin aber jetzt Freimaurer; in die Kirche gehe ich nicht."
Nach den Aussagen von Göb legt er ein freches Benehmen an den Tag, sowie
übrigens sein ganzes Verhalten entspricht das eines waschechten Kommunisten.
Weiterhin äußerte sich Holzinger:
"Der Rückgang der Arbeitslosigkeit sei nur Bluff. Die Arbeitslosen werden nur
in landw. Betriebe untergebracht anstatt sie eine ständige Arbeit bekämen."
[KT1]
Der "Beauftragte des Sonderkommissars der Obersten SA-Führung bei den
Bezirksämtern Kitzingen und Gerolzhofen" beantragte darauf hin beim Bezirksamt
Kitzingen am 6. Dezember 1933 die sofortige Schutzhaft, "um diesen Stänkerer
unschädlich zu machen". [KT1R]
Göb wurde darauf polizeilich vernommen, wobei weder die Aussage mit dem
"Freimaurer" noch mit dem "Bluff" von Göb bestätigt wurden. Vielmehr wurde
bei der Vernehmung versucht, noch weitere belastende Aussagen gegen Anton
Holzinger herauszufinden, etwa ob er "Bemerkungen" über die Regierung oder
Regierungsmitglieder gemacht habe. [KT2]
Am 7. Dezember 1933 wurde der Schutzhaft-Befehl vom Bezirksamt Kitzingen
ausgestellt.
Als Gründe wurden nicht nur seine Äußerung gewertet, sondern auch, dass er
früher einmal bei der Rotfront gewesen war.
Es heißt dort:
Die Polizeidirektion Würzburg bestätigte, dass Holzinger dort als
Kommunist bekannt war, und der Verdacht besteht, dass er innerlich auch jetzt
noch Kommunist ist. Seine Inschutzhaftnahme war deshalb gerechtfertigt und
geboten. [KT3R]
Benachrichtigt wurden die Bayerische Politische Polizei in München und die
Polizeidirektionen Nürnberg/Fürth und Würzburg.
Am 7.12.1933 wurde Anton nachmittags um 17.15 Uhr in Schutzhaft genommen -
ohne richterlichen Beschluss, ohne Anwalt, ohne Beschwerderecht - einfach weil
es zwei SA-Verantwortliche so wollten, und die Polizei in Würzburg half
tatkräftig mit. [KT3]
Anton Holzinger sah kein Vergehen bei sich. Er sah kein Unrecht, das er
begangen hat. Er merkte aber, dass im böswillig mitgespielt wurde.
Deshalb schrieb an das Bezirksamt zwecks Entlassung aus der Schutzhaft, und um
die Anschuldigungen zu entkräften. [KT8]
Darauf wurde er erneut vernommen. Die Polizeidirektion Würzburg wurde befragt
und antwortete, dass eine Belassung Antons auf freien Fuße eine Gefahr
für die öfftl. Sicherheit und Ordnung bedeutet. Er habe ja bei einem
Spitzenfunktionär der KPD das Zimmer geteilt und sei nach einer wilden
kommunistischen Demonstration 1931 in Schutzhaft gewesen. [KT10]
Ja 3 Stunden sei er in Haft gewesen, obwohl er nicht bei der Demonstration
verhaftet wurde, sondern ohne Anlass danach, stellte Anton klar. [KT9R]
Eva Schlereth, Antons Freundin, ging vor Weihnachten zu Göb und wollte ihn
zur Rede stellen. Sie traf aber nur dessen Mutter. Beide, Otto Göb und
seine Mutter, bedauerten danach, was sie angerichtet hatten.
Die Mutter von Göb sagte, sie hätte nichts gesagt, wenn es solche
Unannehmlichkeiten gehabt hätte. Otto Göb sagte der Polizei dann noch, dass
Anton umsonst in Schutzhaft gekommen sei, und dass Anton den Ausdruck "Bluff"
nicht gebraucht habe, sondern gesagt habe, dass die Arbeitslosen nicht weg
seien, wenn sie bei den Bauern untergebracht würden. [KT12]
Aber jetzt hatte Göb keinen Einfluss mehr auf den weiteren Ablauf.
Und Anton Holzinger saß über Weihnachten im Knast, anstatt bei seinem Kind.
Und ohne eine Ahnung, wann und ob er wieder entlassen wird.
Am 27.12. schrieb der Sonderbeauftragte noch dazu: Gerade innerhalb der
Landhilfe macht sich starker Einfluß der K.P.D. geltend, der mit aller Schärfe
zu brechen ist.
Und nichts tat sich. Am 18.1. fragte das Bezirksamt bei der Polizeidirektion
Würzburg nach, ob Anton nach Dachau gebracht werden solle. Am 23.1.1934 schrieb
man von dort:
Holzinger hat durch seine Äußerungen über die Maßnahmen der nat.soz.
Regierung und ihre Auswirkungen seine grundsätzliche (staatsfeindliche)
Einstellung klar zu erkennen gegeben. Er gehört zu jenen Elementen, die noch
staatspolitischer Erziehung bedürfen. Seine Überstellung in das
Konzentrationslager in Dachau wird begutachtet, da nach den bisherigen
Erfahrungen nur durch einen Aufenthalt in einem geschlossenen Lager ein
nachhaltiger Erfolg erzielt werden kann. [KT15]
Der Sonderbeauftragte stimmte sofort zu, die Bayerische Politische Polizei
"genehmigte" am 8.2.34 die "Unterbringung im Konzentrationslager Dachau".
Anton wurde am 15. Februar nach München gebracht und von dort aus ins KZ nach
Dachau.
Anton selbst wusste vorher von all dem nichts. Denn am 6. Februar bat er
nochmals um Entlassung aus der Schutzhaft, die aus ihm unbekannten Gründen
abgelehnt worden war. [KT17]
Am 14.2. wurde er sogar nochmals vernommen.
Irgendwann kamen dann Entlassungspapiere für Anton in Kitzingen an.
Das Bezirksamt Kitzingen hat die Entlassungspapiere im Original am 22.3.34
an die Bayerische Politische Polizei gesendet. Man hat in Kitzingen keine
Antwort erhalten. Die Papiere sind seitdem verschwunden.
Am 28.4. und 25.5. hat man von Kitzingen aus wiederholt bei der Bayerischen
Politischen Polizei nachgefragt. [KT21/22]
Am 8.6.34 antwortete man auf das Schreiben vom 25.5.34. Es kam dann die
Mitteilung der Aufhebung der Schutzhaft. [KT23]
Die früheren Schreiben, insbesondere die Entlassungspapiere vom 22.3.34
wurden gar nicht mehr erwähnt.
Eine erneute Anfrage aus Kitzingen folgt einen Monat später, am 10.7.34,
ob Anton Holzinger entlassen worden sei und wo er sich aufhalte.
Das wurde am 16.7. beantwortet :
"Die Entlassung des Anton Holzinger hat sich verzögert. Holzinger wird
voraussichtlich in den nächsten Tagen entlassen." [KT24]
Keine Begründung oder Rechtfertigung, warum man Anton so lange festgehalten
hat.
Danach kam am 21.7. die fernmündliche Mitteilung der Bayerischen Politischen
Polizei vom Tod des Anton Holzinger. [KT25]
Eine schriftliche Mitteilung von dort erfolgte nicht.
In Kitzingen hat man aber notiert, dass Anton in der Nacht vom 20. auf den
21.7.34 an Lungenschwindsucht gestorben sei. Es sei am besten, wenn die
Angehörigen zustimmten, dass die Leiche noch heute im Friedhof Dachau beerdigt
werde, weil die Lunge durch das Leiden und infolge der Hitze sich bereits in
Fäulnis befinde.
Die Angehörigen verzichteten also auf die Leiche, und Anton wurde in Dachau
beerdigt. Der Sonderbeauftragte und die Polizeidirektionen Würzburg und Nürnberg
wurden vom Tod Antons benachrichtigt.
Auffällig bei dem ganzen Vorgang ist die unverzeihliche Schlampigkeit und die
unglaubliche Überheblichkeit der Bayerischen Politischen Polizei mit der hier
mit der Freiheit eines Menschen umgegangen wird.
Aber offensichtlich hat man sich damals schnell an diese Zustände gewöhnt -
genau so wie man sich heute an die Zustände in Guantanamo auch gewöhnt hat.
Auch die eindeutige Parteilichkeit der damaligen Polizeidirektion Würzburg muss
als Ursache für den Tod von Anton Holzinger mit verantwortlich gemacht werden.
Hätte Anton 1931 sein Zimmer in Würzburg mit einem SA-Mann geteilt, so wäre
sein Leben sicher ganz anders verlaufen.
Im KZ Dachau
Über die Zustände in den Konzentrationslagern wird im
Braunbuch ab Seite 270 ausführlich berichtet.
Ab Seite 299 wird dann speziell das "Mordlager Dachau" berücksichtigt.
Es werden aber nur die Zustände bis Ende April 1933 behandelt.
Dass die Schilderungen im Braunbuch wirkliche Zustände anprangern, kann man
an dem Prozess gegen Otto Pfrang in Würzburg 1949 nachempfinden.
Anscheinend würde die Justiz auf den Tod des Anton Holzinger aufmerksam, als in
der um Würzburg verbreiteten Tageszeitung "Main-Post" am am 9.2.1946 ein Artikel
erschien mit dem Titel "Wie unser Anton Holzinger starb". [P59]
In dem Artikel wird berichtet, dass des SS-Mann Pfrang den Anton Holzinger
mit der Faust ins Gesicht schlug und ihn mit Fußtritten zum pausenlosen
Arbeiten zwang. Dann jagte er Anton in das eiskalte Wasser - es war Februar.
Anton bekam hohes Fieber. Nach zwei Tagen musste er weiter arbeiten.
Ein Rückfall führte dann zu einer schweren Lungenerkrankung, an der Anton
Holzinger starb.
Im Juli 1948 erging Haftbefehl gegen Otto Pfrang und es wurde wegen Mordes an
Anton Holzinger und anderer Verbrechen ermittelt. [P1]
Bei den Vernehmungen von über 50 Zeugen kam heraus, dass Pfrang nicht nur
wahllos Häftlinge nach Lust und Laune zusammengeschlagen hat, sie mit
Ochsenziemern geprügelt hat, und immer, immer wieder geschlagen hat.
[P146-153]
Er hat auch den jüdischen Pferdehändler Fleischmann mehrfach gezwungen, seinen
eigenen Kot zu essen. Zur Belustigung einiger SS-Schergen gab man einmal
Fleischmann und einigen anderen Häftlingen bei der Essensausgabe Kot als
"Senf" auf die Wurst und zwang sie, dies zu essen. Pfrang war dabei.
Man hat Fleischmann auch mehrfach aufgefordert, sich aufzuhängen, was dieser
aus Verzweiflung schließlich auch tat. [P145]
Pfrang zwang aber auch andere, Kot zu essen. [P148]
Mehrere andere Häftlinge ließ er Spucknäpfe austrinken [P148]. Einmal musste
ein jüdischer Häftling auf Pfrangs Befehl onanieren und in der Latrine Jauche
trinken. [P54]
Oftmals griff Pfrang sich Häftlinge heraus, um sie einzeln zu misshandeln und
zu schlagen. Einen stieß er mit dem Kopf in ein Fass pulverisierter Farbe, so
dass dieser vorübergehend nichts sehen konnte. Dabei schlug Pfrang auf ihn
ein. [P151] Einen anderen ließ er durch Brennnesseln robben und exerzieren
bis er erschöpft zusammenbrach. [P147f]
Andere ließ er unter dauernden Schlägen Selbstbeleidigungen rufen. [P147]
Da Häftlinge nur 10 Mark haben durften, ging er durch die Zimmer und zog
überzählige Beträge ein. Das Geld rechnete er offensichtlich nicht ab, sondern
steckte es in die eigene Tasche. Denn die Häftlinge bekamen das Geld später
nicht mehr zurück. [P69]
Er soll auch Häftlinge aufgefordert haben, im "Marsch-marsch" wegzutreten und
dann auf sie schießen lassen - so als seien sie auf der Flucht erschossen
worden. [P145unten,206] Einen Häftling ließ er im Kies bis zum Hals eingraben.
Auf das Gesicht des Eingegrabenen wurden dann Steine geworfen, welche von
Hunden apportiert wurden. [P152]
Den Anton Holzinger ließ er arbeiten, bis dieser schweißnass war. Dann jagte
er ihn - im Februar - in das eiskalte Wasser einer Kiesgrube, das ihm bis zur
Brust reichte, und ließ ihn darin mehrere Minuten stehen.
Er ließ ihn dann weiter arbeiten und jagte ihn erneut in die Kiesgrube.
Das geschah drei Mal. [P198]
Holzinger bekam darauf hohes Fieber. Nach den übereinstimmenden Aussagen
vieler Zeugen ist Holzinger einige Wochen danach an der Misshandlung
gestorben.
Der medizinische Gutachter schrieb später:
Es ist mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit anzunehmen, dass
das Stehen im eiskalten Wasser bei den besonderen Umständen den Tod des
Holzinger unmittelbar herbeigeführt hat. [P212]
Pfrang tat dies alles aus eigenen Antrieb, aber mit Duldung seiner
Vorgesetzten. Es gab zwar eine Anweisung, die das Schlagen von Häftlingen
strengstens verbot. Aber der damalige KZ-Kommandant Eicke sagte
"Ob Recht oder Unrecht, in erster Linie steht dieser Staat, und wer diesen
angreift, wird vernichtet." [P194] Siehe auch Wikipedia.
Die Misshandlungen sollen 1935 geendet haben, als ein neuer KZ-Kommandant kam,
und - unabhängig davon - Pfrang wegen mehrmaliger "widernatürlicher Unzucht"
mit anderen männlichen NS-Parteiangehörigen verurteilt, degradiert, aus der
SS ausgeschlossen und selbst in ein KZ gebracht wurde. [P126,75]
Später kam Pfrang dann zur Wehrmacht. Nach dem Krieg wurde er dann als
einer der übelsten Täter entdeckt.
Die Zeugenaussagen gegen Pfrang waren überwältigend, gerade wegen ihrer
Entsetzlichkeit.
Am 1.4.1949 wurde dann das Urteil gegen Pfrang gefällt für seine Verbrechen
gegen die Häftlinge im Konzentrationslager Dachau. Das Urteil war seinen
Missetaten angemessen.
Er wurde wegen Mordes an Anton Holzinger zum Tode verurteilt, und zu insgesamt
54 Jahren und 8 Monaten Zuchthaus wegen Körperverletzung im Amt. [P231]
Nach Abschaffung der Todesstrafe und da eine gesetzliche Obergrenze von
15 Jahren für Haftstrafen besteht, kam Pfrang wegen guter Führung und einem
Gnadenakt am 24.12.1958 wieder frei, unter Bewilligung einer Bewährungszeit
bis zum 1.12.1962. [H61]
Er starb am 20.12.1970 in Würzburg.
Nachspiel
Nach der Aussage der überwiegenden Mehrheit der Zeugen, die zum Fall Holzinger
Aussagen machen konnten, starb Anton Holzinger etwa März-April 1934.
Inzwischen ist aber die Sterbeurkunde des Anton Holzinger gefunden worden,
ausgestellt von der Gemeinde Prittlbach, die als Todestag den 21.7.1934 nennt.
Der Standesbeamte hat dieses Datum von der Kommandantur des Konzentrationslagers
Dachau "mitgeteilt" bekommen. Der Leichenschau-Schein lag bei. [P329/330]
Der ausstellende Arzt wurde ausfindig gemacht, und dieser sagte aus, dass er
sich an einen schwer Kranken von 35-40 Jahren erinnern kann, der 5-6 Wochen
im Revier gelegen habe und dort gestorben sei.
Den Leichenschauschein habe er selbst unterschrieben.
Anton war damals aber erst 24 Jahre alt.
Das Amtsgericht Würzburg ordnete, wegen der Unklarheit über den Todeszeitpunkt,
am 15.5.1957 ein Wiederaufnahme des Verfahrens vom 1.4.1949 an, soweit es sich
um das Verbrechen des Mordes handelt.
Das Staatsanwaltschaft sah das Datum des Sterberegisters, den 21.7.1934, aus
Prittlbach als korrekt an. Das Hineinjagen in das kalte Wasser sei dagegen
spätestens im März 1934 erfolgt.
Es bestehe daher keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Misshandlung
kausal war für den 4 Monate späteren Tod.
Die weiterführenden Akten dazu sind nicht mehr vorhanden.
Es gibt noch weitere Angaben zu einem möglichen Todestag eines Anton Holzinger,
geb. am 23.10.1909 in Hammelburg. Es sind die folgenden möglichen Todestage in
Akten genannt worden:
-
April 1934 aus den Zeugenaussagen des Prozesses gegen Pfrang von 1949,
falls die Sterbeurkunde falsch ist
-
21.7.1934 falls die Sterbeurkunde korrekt ist
-
1.7.1934 laut einer "List von SS Exeutierte auf dem SS Schießplatz
Prittelbach bei Dachau"
-
15.8.1937 laut Bestattungsamt München
Die "List von SS Exeutierte" - der Titel wurde erst nach 1945 über die Tabelle
getippt - enthält viele Namen von Menschen die ab 1933 auf dem Schießplatz der
SS in Prittlbach erschossen worden sein sollen. Anton Holzinger soll laut dieser
Liste am 1.7.1934 dort erschossen worden sein.
Die Liste des Bestattungsamtes München nennt Dachau als Sterbeort. Die Liste
nennt jedoch nicht den Geburtsort. Das genannte Datum ist unwahrscheinlich.
Diese letzten beiden Dokumente widersprechen zudem den Zeugenaussagen, die im
Prozess gegen Pfrang getätigt wurden. Ein Zeuge hat nämlich Antons Leiche im
Krankenrevier des Konzentrationslagers Dachau gesehen. [P320]
Danksagung
Ich danke Frau Petra Kaup-Clement für ihre Hilfe. Sie hat mich überhaupt erst
animiert, über Anton Holzinger, einem Bruder der Großmutter meiner Frau,
nachzuforschen.
Sie hat mich unterstützt mit ihrem Wissen, indem Sie die Akten beim
Staatsarchiv in Würzburg aufgefunden hat, indem sie in der KZ-Gedenkstätte
in Dachau und beim ITS in Bad Arolsen nach Quellen suchte und auch welche
fand.
Ferner danke ich
- Frau Heeg-Engelhart und Mitarbeitern vom Staatsarchiv Würzburg,
- Frau Annette Wolf vom Stadtarchiv Würzburg und
- Herrn Bardo Backert und Mitarbeitern von der Staatsanwaltschaft Würzburg
für ihre tatkräftige Hilfe und Unterstützung.
Literatur
Braunbuch. Basel 1933.
Das Buch weist nach, dass Göring den Reichstag hat anzünden lassen. Auch werden
einige der bis Ende April 1933 bekannten, von den damaligen Machthabern
ausgeführten äußerst barbarischen Misshandlungen und Morde an Andersdenkenden
beschrieben.
Im Internet ist eine Kopie des Buches verfügbar unter
https://archive.org/download/BraunbuchberReichstagsbrandUndHitlerterror/BraunbuchberReichstagsbrandUndHitlerterror.pdf
Artikel "Großindustrie und Aufstieg der NSDAP". In: Wikipedia, Die freie
Enzyklopädie.
Bearbeitungsstand: 30.8.2015
URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Gro%C3%9Findustrie_und_Aufstieg_der_NSDAP
Artikel "Geheimtreffen vom 20. Februar 1933". In: Wikipedia, Die freie
Enzyklopädie.
Bearbeitungsstand: 30.8.2015
URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Geheimtreffen_vom_20._Februar_1933
Artikel "Weimarer Republik". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie.
Bearbeitungsstand: 30. August 2015.
URL:
https://de.wikipedia.org/wiki/Weimarer_Republik
Artikel "Reichstagswahl 1928". In: Wikipedia, Die freie
Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 15.7.2015
URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagswahl_1928
Ebenso die dort verlinkten Artikel der Reichstagswahlen bis März 1933.
Artikel "Schutzhaft". In: Wikipedia, Die freie
Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 8.10.2015
URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Schutzhaft
Artikel "Reichstagsbrand". In: Wikipedia, Die freie
Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 2.8.2015
URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Reichstagsbrand
Artikel "Hilfspolizei". In: Wikipedia, Die freie
Enzyklopädie. Bearbeitungsstand: 17.8.2015
URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Hilfspolizei
Artikel "Theodor Eicke". In: Wikipedia, Die freie Enzyklopädie.
Bearbeitungsstand: 14.7.2015
URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Theodor_Eicke#Organisator_der_Konzentrationslager
Eike Pies : Löhne und Preise von 1300 bis 2000.
Wuppertal, 2004.
Akte "Landratsamt Kitzingen 814" beim Staatsarchiv Würzburg
Alle Referenzen der Form [KTn] beziehen sich auf diese Akte, wobei n die
Blattnummer angibt. Ein R am Schluss verweist auf die Rückseite des Blattes.
Akten "Staatsanwaltschaft Würzburg 673" beim Staatsarchiv Würzburg
- Teilakte "Kls 14/49": Verfahren gegen Otto Pfrang und Urteil vom 1.4.1949
- Teilakte "Kls 14/57": Antrag Wiederaufnahme-Verfahren gegen Otto Pfrang
Beide Akten sind fortlaufend nummeriert, wobei die Nummerierung fortlaufend
von der einen Akte in die andere übergeht.
Alle Referenzen der Form [Pn] beziehen sich auf diese Akten, wobei n die
Blattnummer angibt. Ein R am Schluss verweist auf die Rückseite des Blattes.
- Teilakte "Haftbuch" zum Fall Otto Pfrang
Die Referenz [H61] beziehen sich auf Blatt 61 dieser Akte.
Berichte in der Tageszeitung "Main-Post" in Würzburg vom 9.2.1946, 22.3.1949,
24.3.1949, 26.3.1949, 29.3.1949.
Dachauer Prozesse, NS-Verbrechen vor amerikanischen Militärgerichten in
Dachau 1945-1948
Herausgegeben von Ludwig Eiber und Robert Sigel, Göttingen 2007
Spez. Artikel von Edith Raim: Westdeutsche Ermittlungen und Prozesse zum
KZ Dachau und seinen Außenlagern.
Auf Seite 215f wird der Fall Pfrang angesprochen.
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