Das Urchristentum aus weltlicher Sicht



Ein Nicht-Gläubiger oder ein Atheist würde fragen, warum ich mich denn überhaupt mit Göttern befasse. Es sei doch nur Zeitverschwendung. Es sei auch bedeutungslos, darüber nachzudenken, ob es Götter gibt oder nicht. Wir wissen es nicht. Und über etwas zu sinnieren, von dem wir nicht wissen, ob es existiert oder nicht, das ist ebenfalls Zeitverschwendung.
Ich stelle die Frage deshalb anders: Was hat Menschen dazu veranlasst, sich Götter auszudenken? Wie haben sich ihre Gedanken über Götter entwickelt? Ich beginne hier nicht bei der Entstehung der ersten Religionen. Ich beginne hier mit dem Entstehen einer neuen Religion aus einer alten. Am Beispiel des Urchristentums möchte ich die Evolution dieser besonderen Religion betrachten.

Wenn man über das Urchristentum Informationen sucht, so muss man auf die ältesten Dokumenten des Christentums zurückgreifen, und das sind nun einmal die Paulusbriefe. Sie entstanden etwa 25 Jahre nach Jesu Tod. Die Evangelien entstanden erst später. Das früheste Evangelium, das Markus-Evangelium, wird auf das Jahr 70 geschätzt, also 40 Jahre nach Jesu Tod.
Deshalb wurden in den Evangelien auch die von Paulus gepredigten Glaubensvorstellungen mit eingearbeitet. Wo Paulus irrte, irrten später auch die Evangelien.
Als Grundvoraussetzung einer sinnvollen Darstellung setze ich voraus, dass die Naturgesetze stets beachtet werden. Wenn die heiligen Bücher in ihren Darstellungen die Naturgesetze nicht beachten, so sind diese Darstellungen als Legende zu betrachten - keinesfalls als Tatsachen.
So widersprechen beispielsweise Wunder, Prophezeiungen, Visionen, eine Auferstehungen von dem Tode usw. den Naturgesetzen.

Jesus Christus

Er ist die Person, mit der alles anfing. Sein Name war ursprünglich Jeschu oder Jeschua. Er sprach aramäisch. Wahrscheinlich konnte er nicht schreiben, verstand die griechische Sprache nicht und war mit der griechischen und römischen Kultur nicht vertraut.
Die späteren Christen änderten seinen Namen zu Jesus. Wohl am weitesten entfernt ist die Aussprache seines Namens im Englischen - es klingt wie "dschieses".
Er wurde auch Christus genannt. Christus - das ist auf hebräisch "Messias" und auf deutsch "der Gesalbte". Gesalbt wurden in der damaligen jüdischen Kultur der Hohepriester und der König.
Über den historischen Jesus ist wenig bekannt. Wir wissen nicht einmal, wann er geboren wurde.
Zwischen 7 und 4vuZ liegt - laut der deutschen Wikipedia - sein Geburtsjahr.
(Ich vermeide deshalb die Angaben "vor Christus", "nach Christus", "vChr" oder "nChr". Statt dessen finden Sie hier "vuZ" oder "nuZ" für vor bzw. nach unserer Zeitrechnung.)
Der berüchtigte jüdische König Herodes starb im Jahr 4vuZ. Der ihm zugerechnete Kindermord könnte zeitlich also noch passiert sein. Bei seinem bestialischen Charakter wäre ihm dieser Kindermord durchaus zuzutrauen.
Die im Lukas-Evangelium erwähnte Volkszählung und Vermögensschätzung des römischen Legaten von Syrien, Publius Sulpicius Quirinius, war aber frühestens im Jahr 6nuZ. Es gab also keinen Grund für Josef, den Stiefvater Jesu, nach Bethlehem zu reisen, wo dann angeblich seine Frau ihre Niederkunft gehabt haben soll.
Damit wird des Lukas Erzählung zur Geburt Jesu unglaubwürdig.

Jesus wurde sicherlich in Nazareth und nicht in Bethlehem als voreheliches Kind geboren. Man wird ihn mit diesem Makel öfters gemobbt haben. Jedenfalls war er auf seine Familie nicht gut zu sprechen, als diese ihn einmal bei seiner Wanderpredigt aufsuchen wollte. (Mk3,31-35)

Ob Jesus ein Nachkomme Davids gewesen sei, hätte man nur aus der Genealogie seiner Mutter finden können. Diese ist aber nicht überliefert. Von seinem Stiefvater Josef gibt es zwei unterschiedliche Abstammungslinien, eine von Matthäus, einen ganz anderen von Lukas. Von den Nachkommen Davids gab es - 1000 Jahre oder 30 Generationen nach Davids Tod - nicht gerade wenige.

Jesus hatte 4 Brüder, Jakobus, Joses, Judas und Simon, dazu noch einige Schwestern (Mk6,3).
Jesu Auftreten als Wanderprediger begann mit der Taufe durch Johannes den Täufer (28-29). Er wollte ein neues Leben beginnen und sich seiner Sünden entledigen, wie es die anderen Anhänger des Johannes auch taten.
Jesus selbst war fest mit dem Judentum verbunden. Er wollte es verbessern. Eine neue Religionsgemeinschaft zu gründen, lag nicht in seiner Absicht.
Jesus half zwar auch den Ausländern, aber Vorrang hatten die Juden. Das macht uns Mt15,21-28 deutlich. Und Jesus scheute sich nicht, die Nichtjuden mit Hunden zu vergleichen. Diese Arroganz vieler Juden gegen Nichtjuden war sehr verbreitet.

Gestorben ist Jesus dann irgendwann im Zeitraum 29-32, wahrscheinlich im Jahr 30. Dies geschah durch den römischen Präfekten Pontius Pilatus. Treibende Kraft für die Hinrichtung waren klerikale Juden der Oberschicht.
Deren Verärgerung dürfte er sich geschaffen haben, als er handgreiflich mit seinen Gefolgsleuten Händler aus dem Tempel vertrieb. Gläubige Juden konnten sich danach keine Opfergegenstände kaufen, die Händler keine Gewinne mehr machen, und die Tempelverwaltung konnte keine Standgebühren von den Händlern mehr nehmen.

Über die Zeitangaben und über die geschichtlichen Zusammenhänge habe ich in meinem Artikel Paulus und das Urchristentum schon an anderer Stelle berichtet.

Die Jerusalemer Urchristen

Nach der Hinrichtung Jesu flohen seine Anhänger in ihre Heimat. Einige hatten Visionen, nach denen ihnen Jesus als vom Tode Auferstandener erschienen sei. Sie trafen sich dann wieder in Jerusalem.
Diese Jünger, die Jesus schon auf seinen Wanderpredigten begleiteten, bildeten in Jerusalem eine Gemeinde.
Sie glaubten, dass
Die Jerusalemer Gemeinde folgte weiter den Gepflogenheiten, denen schon Jesus nachging. Sie praktizierten den Tempelkult, opferten und reinigten sich dort. Sie befolgten das jüdische Gesetz, insbesondere die Beschneidung.
Ihre Gemeinde war damit nur eine etwas andere Gruppe innerhalb des Judentums. Eine eigene Religion wollten sie nie gründen - Jesus hatte es auch nie gewollt. Sie bezeichneten sich selbst als die Armen, und sie wollten im Sinne der Nächstenliebe den Bedürftigen helfen.
Dennoch wurden sie - wie Jesus schon vorher auch - von der jüdischen Priesterschaft beobachtet, angefeindet und verfolgt.
Nach dem Apostelkonzil (um das Jahr 48) hat der Apostel Petrus die Gemeinde verlassen. Er hat - wie schon vorher auch - den Glauben im Lande weiter verkündet.

Die Jerusalemer Christen hatten zwar auf die Wiederkunft Jesu als neuer König Israels gehofft. Jesus kam aber nicht. Dafür wurde Jerusalem von den Römern im Jahr 70 zerstört. Danach verloren Sie ihre Bedeutung.

Paulus und seine Theologie

Viele griechisch-sprachigen Juden erfuhren schon sehr bald von der Jerusalemer Gemeinde. Sie waren begeistert von den sozialen Ideen der neuen Bewegung. Sie gründeten innerhalb 3 Jahren nach Jesu Tod zumindest in Damaskus und Antiochia eigene Gemeinden.
Juden, die weitab von Jerusalem lebten, nahmen es mit dem jüdischen Gesetz nicht allzu genau. Juden und Griechen saßen bei Tisch zusammen, was das jüdische Gesetz verbot. Man war frei und ungezwungen miteinander. Die Griechen interessierten sich für die jüdische Religion, und die Aussagen des Jesus dürften sie beeindruckt haben. Die frühere Verfolgung durch Paulus geschah also wegen der Nichtbefolgung des jüdischen Gesetzes und betraf Juden, die mit Griechen zusammen eine Christengemeinde bildeten.
Die neue Formel dieser Christen
Hier ist nicht Jude noch Grieche, nicht Sklave noch Freier, nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus.
war eine Vision von der einen Menschheit.
In diesen Gemeinden wurde die Taufe praktiziert und auch das Herrenmahl, ein Essen zum Gedächtnis an Jesus. Es soll an das letzte Essen Jesu mit einen Anhängern erinnern.
Jesus wurde als ein neuer Prophet gesehen, den Gott sogar vom Tode auferweckt habe. Und er werde bald zur Erde zurück kehren, um ein neues jüdisches Gottesreich zu schaffen.

Etwa im Jahr 32 wurde Paulus bekehrt. Er hatte eine Vision, durch die er sich von Jesus selbst zum Völkerapostel berufen fühlte.
Er ist total von sich selbst überzeugt und meint, er habe seine Lehre von Gott selbst übermittelt bekommen. Deshalb stimmt er sich auch mit den Jüngern Jesu nicht ab.
Erst um 34 hat er ein Gespräch mit Petrus. Er musste noch sehr viel über Jesus lernen - er hatte Jesus ja überhaupt nicht persönlich gekannt. Anscheinend konnte er aber auch Petrus zumindest teilweise von seiner Vision überzeugen. Denn Petrus verkündete nun den Glauben ähnlich wie Paulus.

Paulus predigte von der Auferstehung Jesu, von seiner baldigen Wiederkunft, von Taufe und Herrenmahl, und vor der Gleichheit aller Menschen vor Gott - so wie er es von anderen Christen (etwa aus Damaskus) schon kannte.

Paulus fügte in seinen Predigten aber auch völlig neue theologische Aussagen ein.
Jesus ist für Paulus kein Gott, sondern ein von Gott bevorzugter Mensch.

Wir haben hier Glaubensaussagen, die Paulus angeblich durch Visionen mitgeteilt bekam. Als Grundlage seiner Predigten nützte er das Alte Testament, das damals als Septuaginta in griechischer Sprache vorlag.
Die Aussage, dass Jesus nach dem Tode wieder auferstanden sei, war sicher nicht neu. Neu sind die Aussagen, dass diese Geschehnisse bereits im Alten Testament von Propheten voraus gesagt worden seien.

Paulus tat etwas, was man im erweiterten Sinne als Verletzung eines Urheberrechts bezeichnen kann. Er nahm das Alte Testament als Grundlage seiner Lehre. Er fand darin eine ganze Reihe von Hinweisen zum Auftreten von Jesus, wobei er sehr viel in den Text hinein interpretierte und ihn auf seine eigene Weise gebrauchte. Dann sprach er dem jüdischen Gott noch weitere Eigenschaften hinzu.
Schließlich erklärte er einige der im Alten Testament festgelegten Gebote (Reinheitsgebote, Beschneidung) für nicht mehr erforderlich.

Da Paulus auf die Person des Jesus und auch auf dessen Lehre zurück griff, strebte er nun ein Lizenzvereinbarung mit der Jerusalemer Gemeinde an, insbesondere mit jenen Anhängern Jesu, die mit diesem noch herumgezogen waren.
Es sah sich zwar bisher schon als zum Heidenapostel berufen. Nun bekam er auf dem Apostelkonzil die Bestätigung dafür zuerkannt - gegen eine nicht näher angegebene Lizenzgebühr. (Man bezeichnete es mit den Worten "die Armen ... nicht vergessen". Siehe Gal2,10.)
Hätte Paulus die Lizenz nicht bekommen, hätte er trotzdem weiter seine eigene Version verbreitet. Mit Petrus als Unterstützer hat er jedoch eine Zustimmung erreichen können.

Leider gab es später immer wieder Streitigkeiten zwischen der Jerusalemer Gruppe und den Paulusanhängern. Dabei war die von Paulus gepredigte Aufhebung des jüdischen Gesetzes der eigentliche Streitpunkt.


Es bleibt die Frage: Hätte das alles Jesus auch so gesehen?
Es bleibt der Eindruck, die Person des Jesus und seine Lehre interessieren den Paulus nur am Rande. Paulus kannte Jesus nicht. Ebenso kannte er dessen Lehre kaum.
Paulus machte nun aus Jesus ein mystisches Gottwesen, das der Welt das Heil im Jenseits bringen sollte. Jesus sollte dann letztlich die von Paulus erschaffene Heilslehre umsetzen.
Die christliche Religion ist ein Konstrukt des Paulus, in der Jesus auch mit benützt wird.


Der Brief des Apostels Paulus an die Römer ist der umfassendste und letzte des Paulus. Er wurde 54 (nach Lüdemann) in Korinth verfasst. Die Christengemeinden waren überall gewachsen. Die Gemeinde in Rom war nicht von Paulus gegründet worden. Die meisten genannten dortigen Gemeindemitglieder haben keine typisch römischen Namen, es waren wohl Sklaven und Freigelassene. Ein Drittel der Namen nennt Frauen, so auch die Apostelin Junia.

In den Kapiteln 1-11 des Römerbriefes legt Paulus seine Theologie insgesamt noch einmal dar. Demnach sind alle Menschen Sünder, die aber durch den Glauben vor Gott gerechtfertigt werden - nicht durch das Jüdische Gesetz, denn das kannten die Heiden ja nicht. Und vor Gott sind alle Menschen gleich.
Da Judenchristen und auch Heidenchristen gleichermaßen Sünder sind, ist das genaue Befolgen des Jüdischen Gesetzes nicht mehr nötig. Durch Adam kam die Sünde und damit der Tod in die Welt. Das hat Jesus Christus für uns wieder gut gemacht und Gott schenkt uns das ewige Leben.

In Kapitel 12 schreibt Paulus über die Liebe oder spezieller, die Nächstenliebe.
Leider ist das Wort "Liebe" im heutigen deutschen Sprachgebrauch weitgehend auf Sexualität ausgerichtet und kann somit den biblischen Gebrauch nicht wiedergeben. In der griechischen Ausgabe des Römerbriefs wird das Wort Agape verwendet. In der Vulgata, der ältesten lateinischen Übersetzung, wird das Wort Caritas verwendet. Es bedeutet Hochachtung und Wertschätzung.
Somit bedeutet das biblische Wort "Nächstenliebe", dem Gegenüber Würde geben - wer auch immer es sei. (Siehe auch Menschenwürde.)
Das Kapitel 12 endet mit den Worten
Wenn dein Feind hungrig ist, dann gib ihm zu essen; ist er durstig, gib ihm zu trinken. So wirst du glühende Kohlen auf sein Haupt häufen. Lass dich nicht vom Bösen besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute.

In Kapitel 13 fordert Paulus Gehorsam gegenüber der staatlichen Ordnung. Der Staat kommt für ihn von Gott. Wer sich den Regierenden widersetzt, handelt gegen die von Gott eingesetzte Ordnung. Gemäß dieser Ansicht haben Christen jeden noch so üblen Tyrannen zu verehren, selbst wenn dieser mit allen nur erdenklichen Verbrechen an die Macht kam.
Diese Ideologie führte im Mittelalter zum Gottesgnadentum. Der Regent wird durch Gottes Gnade zum Herrscher, und es ist Gottes Wille, sich von ihm widerspruchslos beherrschen zu lassen.
Erst in der Aufklärung setzte sich der Grundsatz durch, dass alle Menschen gleich geschaffen sind.
Im Staat der Römer sicherte aber diese Einstellung letztlich das Überleben des Christentums - zuletzt wurde es auf diese Art sogar Staatsreligion.

Seine größte Wirkung entfaltete der Römerbrief in der Reformationszeit. Martin Luther formulierte seine Rechtfertigungslehre vor allem mit Berufung auf den Römerbrief. Dass allein Gottes Gnade und nicht die guten Werke den Menschen vor Gott gerecht sein lässt, wurde später zentrales Element der Reformation. Philipp Melanchthon nannte den Römerbrief das compendium theologiae christianae, die Zusammenfassung der christlichen Theologie. In den folgenden Jahrhunderten herrschte in den protestantischen Kirchen ein dogmatisch-lehrhaftes Verständnis des Römerbriefs vor.

In meinem ausführlicheren Artikel über Paulus habe ich den Römerbrief etwas eingehender beschrieben.

Paulus und die Griechen

Bei den Griechen fand Paulus wohl die meisten Anhänger für seine neue Religion. Aber bei den Griechen fand er auch die meisten Menschen, die seine Ansichten hinterfragten, sie kritisierten oder sogar darüber spotteten. Denn er ließ sehr viele Fragen offen, und es gab reichlich Widersprüche in der christlichen Religion.
Ganz anders als bei den Juden wurde er jedoch nicht als Gegner oder religiöser Feind oder Frevler angesehen. Man ließ ihn gewähren.
Nur mit den Silberschmieden in Ephesus hatte er Probleme. Sie verkauften Nachbildungen des Artemis-Tempels. Und wegen der Missionierung des Paulus befürchteten sie Geschäftseinbußen. In ihren Augen war Paulus ein Unruhestifter oder gar Betrüger, der die Bürger mit einer neuen, bösen Religion verunsicherte. (Apg19,23-40)

Die neue Religion hatte durchaus ihren Reiz. Ihren Göttern waren die Griechen ohnehin nicht allzu sehr verbunden. Nach der griechischen Mythologie erwartete sie nach dem Tode die Unterwelt des Gottes Hades, wo sie nur noch als Schatten in der Dunkelheit weiter existieren konnten.
Paulus aber sprach von einem Gott, der die an ihn Glaubenden nach deren Tod in das Reich seiner Herrlichkeit aufnehmen würde. In diesem Reich gäbe es nur noch Frieden, Freude und Nächstenliebe.
Die Voraussetzungen für diese Zukunft war nur der Glaube an diesen neuen Gott. Dann musste man noch gewisse Laster aufgeben. Die Mitglieder der neuen Gemeinschaft waren hilfsbereit, freundlich und vermieden Zank.
Wer also nicht gerade zu seinem Geld kam durch Streiterei, Gewalttätigkeit, Bordellen, Betrug oder mit anderen Götterkulten, der konnte durchaus begeistert sein. Wer aufgrund seiner Geschäftstätigkeit ausgeschlossen war, der blieb eben bei seinem bisherigen Glauben, und nach dem Tod kam er in der Unterwelt des Hades. Es änderte sich für ihn nichts.
Die spätere Angstmacherei mit der ewigen Folter in der Hölle verbreitete Paulus noch nicht.

Aber die Griechen stellten auch Fragen. Wenn sie mal akzeptiert haben, dass Jesus vom Tode auferweckt worden sei, so dürften sich naturphilosophisch geschulte Griechen auch für die Wiederkunft Christi interessiert haben:
Dass Jesus gestorben sei um uns zu erlösen, dass er alle Sünden der Menschen auf sich genommen habe, um Gott zu versöhnen, diese Vorstellung war nicht nur den Juden generell fremd - auch den meisten Griechen.
Zwar wurde damit der gesamte übliche Tempelbetrieb verzichtbar, denn der Christengott musste nicht mehr durch Tieropfer besänftigt werden. Diese Besänftigung hat ja Jesus durch seinen Tod am Kreuz auf sich genommen.

Dennoch hatten da einige Menschen gewaltige Verständnisprobleme, insbesondere wenn sie noch mit den Lehren aus dem Alten Testament konfrontiert wurden:

Aber auch wegen seines Charakters und wegen seines Opportunismus wurde Paulus angegriffen. Paulus war eine herrische, fanatische, aber auch zerrissene Persönlichkeit, welche der griechischen Philosophie und ihrer Logik nicht gewachsen war. Einen tieferen Einblick in die Psyche des Paulus gibt uns Lüdemann in seinem Buch "Ketzer" S.77-85.

Paulus lehrte als erster, dass Jesus am Kreuz gestorben sei für unsere Sünden nach der Schrift (1Kor15,3).
Später haben dann die Evangelisten Matthäus und Lukas nach solchen Zitaten der Propheten gesucht. Sie haben Zitate aus dem Alten Testament in ihre Evangelien eingebaut, selbst wenn diese auch nur mit sehr viel Wohlwollen als Bezug zum Geschehen angesehen werden können. Auch andere Christen und auch Heiden haben das Alte Testament nach passenden Zitaten durchsucht.
Aber kein Zitat kann klar belegen, dass Jesus als Messias oder Erlöser gekommen sei, und dass er für unsere Sünden gestorben sei. Vielmehr haben schon Markion (2. Jahrhundert) und Porphyrius (4. Jahrhundert) klargestellt, dass der Teilsatz "nach der Schrift" falsch ist.


Porphyrius hat einen Teil der Überlegungen oben, aber auch weit mehr andere Thesen in Rom um 300 veröffentlicht. Er war einer der letzten großen Philosophen der Antike. Geboren wurde er in Syrien. Er veröffentlichte seine Schriften zumeist in griechisch. Ab 263 arbeitete er an der Philosophenschule des Plotinus in Rom, deren Leiter er nach Plotinus Tod (270) wurde. Er selbst starb zwischen 301 und 305.
Porphyrius schrieb über 60 große Werke aus den Gebieten der Religion, Mythologie, Rhetorik, Grammatik, Literaturkritik, Astronomie und Musiktheorie.
Eines seiner Werke hieß Gegen die Christen. Er hat darin so überzeugend argumentiert, dass schon unter Kaiser Konstantin dieses Buch überall verbrannt wurde, zusammen mit allen christlichen Gegenschriften gegen das Buch - so gefährlich wurde es eingeschätzt. Lediglich einige wenige Fragmente sind deshalb erhalten geblieben.
Was vom Werk "Gegen die Christen" noch auffindbar war, hat Adolf Harnack 1911 zusammengestellt als Veröffentlichung unter dem Titel "Kritik des neuen Testaments von einem griechischen Philosophen des 3. Jahrhunderts".
Die Veröffentlichung ist enthalten in Band 37 der Buchreihe "Texte und Untersuchungen zur Geschichte der altchristlichen Literatur".
Diesen Band 37 kann man sich als pdf-Datei herunterladen. (52,7MB)
Der Artikel ist darin auf den Seiten 787-944 zu finden.
Eine Kurzfassung einiger Argumente aus "Gegen die Christen" findet man in https://de.wikipedia.org/wiki/Porphyrios#Kritik_am_Christentum.

Heilige Schriften

Paulus benütze ja schon das Alte Testament, um den christlichen Glauben zu verbreiten. Er fand darin eine ganze Reihe von Hinweisen zum Auftreten von Jesus. Dabei hat er selbst sehr viel in den Text hinein interpretiert.
Dadurch wurde das Alte Testament zum ersten heiligen Buch der Christenheit. Nach des Paulus Tod interpretieren auch die ersten Christen in den Text sehr viel hinein, und sie gebrauchten es nach ihrem Sinn:

Der letzte Brief, den Paulus selbst geschrieben hat, war der an die Römer. Er ist im Zeitraum 54-58 geschrieben worden. Die Schüler des Paulus haben danach, auch lange nach seinem Tod, weitere Briefe mit dem Namen des Paulus geschrieben.
Der erste dieser Briefe war der Brief an die Kolosser. Er entstand etwa 70. Der Brief an die Epheser baut darauf auf.
Die neuen Aussagen dieser Briefe sind:

Mit dem Alten Testament und den Paulusbriefen, zusammen mit dem Kolosser- und Epheserbrief, war nun eine Basis entstanden, auf der die Evangelienschreiber aufsetzen konnten.

Wir wissen nicht, wer die Autoren der Evangelien waren. Die angeblichen Namen der Autoren wurden erst im 2. Jahrhundert festgelegt. Dennoch nehme ich hier zur Unterscheidung diese späteren Namen.
Das Evangelium nach Markus ist das früheste und erschien Anfang der 70er Jahre. In ihm wird bereits auf die Zerstörung Jerusalems zurückgeblickt, die im Jahr 70 erfolgte.
Etwa 90 folgten die Evangelien nach Matthäus und Lukas. Es sind Erweiterungen des Markus-Evangeliums. Man nennt Markus, Matthäus und Lukas die synoptischen Evangelien, da sie wahrscheinlich auf eine gemeinsame verschollene Quelle "Q" zurückgehen. Matthäus und Lukas liefern zusätzliche Geschichten aus dem Leben Jesu, die bei Markus nicht vorkommen. Man nimmt an, dass Matthäus und Lukas, jeder für sich, sein Evangelium zusammengestellt hat aus der lokalen Theologie seiner Gemeinde.

Die Absicht bei allen Evangelien war, die bisherige Theologie des Paulus zu unterstützen. Man wollte keine wissenschaftlichen Arbeiten anhand von Fakten schaffen. Vielmehr ging es um die Vermehrung des Glaubens und um Erklärungen zu der bereits verkündeten Theologie.

Das Johannes-Evangelium erschien dann etwa 100-110. In diesem Evangelium wurde Jesus zu einem Gott hochstilisiert. Mystische Legenden überwuchern alle sonstigen Hinweise aus der Realität. Vom historischen Jesus findet man dort überhaupt nichts mehr.
Die spätere Kirche schöpfte aus dem Johannes-Evangelium dann aber die meisten theologischen Aussagen.

Aufgrund von Funden weiß man, dass die Evangelien - nach der Erstellung - noch mehrfach ergänzt wurden. Beispielsweise wurde bei Markus das Erscheinen Jesu vor den Jüngern (Mk16,9-20) später hinzugefügt. Bei Johannes wurde u.A. das Gleichnis mit der Ehebrecherin (Joh8,1-11) später eingefügt.

Die Apostelgeschichte des Lukas ist erst um das Jahr 90 entstanden, also fast 60 Jahre nach dem Geschehen.
Sie baut auf der Lehre des Paulus auf und ergänzt sie. Sie benützt dabei Angaben aus dem Markus-Evangelium.
Aber auch das Markus-Evangelium (etwa aus dem Jahr 70) baut auf der Lehre des Paulus auf.
Es bleibt auch hier die Fragen, in wie weit das Markus-Evangelium mit der Lehre Jesu übereinstimmt.
Die Apostelgeschichte mag als ein Heldenepos angesehen werden. Die Haupthelden sind die Apostel, insbesondere Petrus und Paulus, deren Großtaten erzählt werden. Historisch präzise ist der Autor nicht. Er vermischt beispielsweise die drei Korinth-Besuchen des Paulus zu einem einzigen.
Ebenso wird auf die Hinrichtung des Paulus nicht eingegangen, obwohl der Autor davon wusste. Nicht umsonst liest sich der Abschied aus Ephesus wie ein Abschied in den Heldentod. (Apg20,20-32).
Auch andere Autoren reden um den heißen Brei herum, wenn es um den Tod des Paulus geht. Ein oft angegebenes, aber nichts aussagendes Zitat (1Cle5) findet man im 1. Clemensbrief.
Als historisches Dokument ist die Apostelgeschichte also kaum zu gebrauchen.


Durch den Besuch eines Religionsunterrichtes werden junge Gläubige angewiesen, in der Bibel seien Wort und Taten Jesu festgehalten. Nun - es sind wirklich einige Ereignisse aus Jesu Leben als Wanderprediger enthalten. Die meisten Überlieferungen, die über Jesus erhalten sind, stehen jedoch in einem schreienden Gegensatz zu dem, was er wirklich sagte und tat. (Lüdemann: Der große Betrug)
Bei vielen Worten und Taten weiß man, dass sie sehr wahrscheinlich von Jesus sind. Bei anderen kann man es nicht mit Sicherheit sagen. Es gibt aber auch Worte und Taten, die - so wie sie in der Bibel stehen - nicht von Jesus stammen.
Gerd Lüdemann hat einige Kriterien zusammengestellt, aus denen man die Echtheit oder Unechtheit von Bibelerzählungen prüfen kann.

Unechtheitskriterien

Echtheitskriterien

Jesus sprach aramäisch. Es gibt von ihm jedoch nur Berichte in griechischer Sprache. Alle aramäischen Unterlagen sind verloren gegangen.
Damit ergibt sich das Problem der Übersetzungsfehler.
Ein Problem mit Übersetzungsfehler möchte ich als Beispiel an dem folgenden deutschen Satz zeigen:
Er führte ihn hinaus und brachte ihn um die Ecke.
"Um die Ecke bringen" wurde später verkürzt zu "umbringen".
Ein Ausländer, der nur die einzelnen Wörter übersetzen kann, die Redewendung "um die Ecke bringen" aber nicht kennt, wird die Tötung im obigen Satz nicht richtig wiedergeben. (Man denke auch an die Redewendung "ins Gras beißen".)
Ein weiteres Problem beim Übersetzen sind Worte mit mehreren unterschiedlichen Bedeutungen. Beispielsweise kann man unter dem Wort Bank eine Organisation vorstellen, die Geld verwaltet. Eine Bank kann aber auch ein Sitzmöbel sein. Die gewünschte Bedeutung ergibt sich erst durch den ganzen Satz.
Als ein Beispiel für ein mehrdeutiges Wort mag die folgende Übersetzung (Mt7,3) dienen:
Was siehest du aber den Splitter in deines Bruders Auge und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem Auge?
Nun gibt es ein aramäisches Wort für Auge, das aber auch die Bedeutung "Brunnen" (als Auge der Erde) hat. Tauschen wir das Wort Auge durch das Wort Brunnen aus, so ergibt der Vers plötzlich einen Sinn.
Was siehest du aber den Splitter im Brunnen deines Bruders und wirst nicht gewahr des Balkens in deinem eigenen Brunnen?
Ein Splitter ist eine Verunreinigung. Wenn aber einer einen Balken im Brunnen eingelassen hat, um einfacher schöpfen zu können, und wenn der Balken dann noch mit dem Brunnenwasser in Berührung kommt, ist die Verunreinigung ärger.

Nun wurde das Evangelium mehrere Male übersetzt. Jede Sprache hat dabei ihre eigenen Redewendungen und ihre Worte mit mehreren Bedeutungen.
Die Übersetzungsfehler sind dann passiert beim Übertragen vom Aramäischen ins Griechische, vom Griechischen ins Lateinische, vom Lateinischen ins Deutsche.
Weiterhin muss man noch bedenken, dass die Übersetzer ihre eigenen Glaubensvorstellungen hatten und diese auch mit einfließen ließen.
So sollten in manchen Zeiten Gläubige die Bibel nur lesen, wenn das unter geistlicher Anleitung geschah. Deshalb hat man zu diesen Zeiten die Übersetzung wohl recht unverständlich gestaltet. Ich meine, dass römisch-katholische Bibelübersetzungen aus der Zeit um 1900 in gewissen Teilen so formuliert sind, dass man sie ohne Anleitung nicht verstehen kann. Bei lutherischen Übersetzungen ist der entsprechende Abschnitt aber durchaus zu verstehen.

Was beim Übersetzen so möglich ist, mag folgendes Beispiel zeigen.
Nehmen wir doch einmal Mk7,8-13 in der Einheitsübersetzung
8 Ihr gebt Gottes Gebot preis und haltet euch an die Überlieferung der Menschen.
9 Und weiter sagte Jesus: Sehr geschickt setzt ihr Gottes Gebot außer Kraft, um eure eigene Überlieferung aufzurichten.
10 Denn Mose hat gesagt: Ehre deinen Vater und deine Mutter! und: Wer Vater oder Mutter schmäht, soll mit dem Tod bestraft werden.
11 Ihr aber lehrt: Wenn einer zu seinem Vater oder seiner Mutter sagt: Korbán - das heißt: Weihgeschenk sei, was du von mir als Unterstützung erhalten solltest - ,
12 dann lasst ihr ihn nichts mehr für Vater oder Mutter tun.
  13 So setzt ihr durch eure eigene Überlieferung Gottes Wort außer Kraft. Und ähnlich handelt ihr in vielen Fällen.
und als Gegenstück Mk7,8-13 in der Übersetzung "Hoffnung für Alle"
8 Ja, ihr schenkt Gottes Geboten keine Beachtung und haltet euch stattdessen an menschliche Überlieferungen!
9 Jesus fuhr fort: »Ihr geht sehr geschickt vor, wenn es darum geht, Gottes Gebote außer Kraft zu setzen, um eure Vorschriften aufrechtzuerhalten.
10 So hat euch Mose das Gebot gegeben: >Ehre deinen Vater und deine Mutter!< Und an anderer Stelle: >Wer seinen Vater oder seine Mutter verflucht, der muss sterben.<
11 Ihr aber behauptet, dass man seinen hilfsbedürftigen Eltern die Unterstützung verweigern darf, wenn man das Geld stattdessen für >Korban< erklärt, das heißt, es Gott gibt. Dann hätte man nicht gegen Gottes Gebot verstoßen.
12 In Wirklichkeit habt ihr damit aber nur erreicht, dass derjenige seinem Vater oder seiner Mutter nicht mehr helfen kann.
  13 Ihr setzt also durch eure Vorschriften das Wort Gottes außer Kraft. Und das ist nur ein Beispiel für viele.«
Der große Unterschied liegt in der Übersetzung der Verse 11 und 12. In der Einheitsübersetzung hat man knallhart Wort für Wort übersetzt und den Leser über die Bedeutung im Unklaren gelassen. Es geht daraus nicht hervor, dass es sich auch um die Alterssicherung der Eltern handelt.
Religionsgemeinschaften liebten anscheinend die Alterssicherung von Rentnern.

Schon Evangelisten sollen behauptet haben, Jesus habe gesagt, seine Worte werden nicht vergehen. Manche Lehrer haben sogar gesagt, kein Jota der Schrift werde verloren gehen.
Und viele Christen haben diese unverschämte Lüge geglaubt.
Dabei gleichen sich die gefundenen Abschriften nur selten. Immer wieder findet man beim Vergleich der Texte Worte, die unterschiedlich geschrieben sind, die an verschiedenen Stellen im Satz stehen, oder die einfach fehlen. Das ist bei einer handschriftlichen Kopie durchaus üblich. Es ging eben nicht nur manches Jota verloren. Es wurde sogar reichlich hinzugefügt.

Widersprüche

Paulus hat zwar den Grundstock der christlichen Religion gelegt, aber er hat auch eine Menge Fragen offen gelassen. Seine Nachfolger mussten sich dann mit diesen Fragen auseinander setzen und sie regeln.
Da Paulus auch Visionen seiner Gläubigen recht gerne in seinen Gottesdiensten vortragen ließ, kamen so auch recht unterschiedliche, sich oft widersprechende Glaubensversionen zustande.
Aus diesem Grund wohl findet man in den späteren christlichen Schriften immer wieder Warnungen von falschen Lehren und auch vor falschen Brüdern.
Und es sind nicht etwa Judenchristen, die hier abweichende Haltungen äußern, sondern allesamt Schüler des Paulus.

Paulus hatte um 40 (1.Thess) noch gepredigt, die meisten seiner Zuhörer würden die Wiederkunft Jesu noch miterleben. In den späten 50ern meinte er, die meisten würden bei der Wiederkunft schon gestorben sein.
Aber der Herr wollte und wollte nicht wiederkommen.
Um 120 hat dann ein Paulusschüler geschrieben (2.Thess), zuerst müsse noch der Antichrist erscheinen, bevor der Herr wiederkommt. Damit wurde die Wiederkunft in die weite Zukunft verlegt.

Dass der Gott des Alten Testaments ein anderer ist als der des Paulus erkannten schon früh viele Menschen. Zum Beispiel ist die im AT von Jahwe (1Sam15) geforderte vollständige Ausrottung der Amalekiter nun einmal überhaupt nicht mit einem Gott der Liebe zu vereinbaren.

Einige Menschen, denen dieser Widerspruch auffiel, bildeten die Geheimlehre der Gnosis (deutsch Erkenntnis). Diese Menschen gingen nun von zwei Göttern aus - dem eigentlichen Gott der Liebe - und im Gegensatz dazu den bösen Gott, den Demiurg, der die unvollkommene Welt mit ihrem Leid und Unglück geschaffen hat. Sie sahen im jüdischen Gott Jahwe den Demiurg. In Jesus sahen sie dagegen einen Abgesandten des Gottes der Liebe, der die Menschen vom Demiurg erlöst hat.

Markion, ein reicher Christ, brachte die Unstimmigkeiten im Gottesbild des AT und des Paulus an die Öffentlichkeit. Er wandelte die Lehre der Gnosis etwas ab und machte sie öffentlich bekannt. Er hatte das Alte Testament genau untersucht und dabei auch noch entdeckt, dass die dortigen Prophetenworte nicht auf Jesus hinwiesen - sie konnten sich auf alles und jeden beziehen.

Markion gründete nun seine eigene Gemeinde, denn die meisten damaligen christlichen Gemeinden konnten diese Neuerung geistig nicht verkraften. Von vielen christlichen Gemeindeleitern (etwa Polycarp von Smyrna) wurde er heftigst angefeindet und sogar als Sohn des Satans bezeichnet. Diese Leiter schalteten auf Abgrenzung und auf Kampf - waren also gar nicht christlich.

Markion schuf eine erste Sammlung christlicher Bücher, einen Kanon Heiliger Schriften. Darin kam das Alte Testament nicht vor. Er verwendete die Paulusbriefe (einschließlich Epheserbrief) und eine Fassung des Lukas-Evangeliums, bei dem alle Hinweise auf das Alte Testament und auch auf die Propheten fehlten.
Danach erst machten sich auch die anderen christlichen Lehrer Gedanken über einen Kanon. Eine Vereinheitlichung der christlichen Religion entstand aber erst unter Kaiser Konstantin.

Über die heillosen Streitereien unter den damaligen Christen schreibe ich ausführlicher im Artikel über Paulus und dort speziell ab dem Kapitel Gnosis.

Die Konstantinische Wende

Mehr Hintergrundinformationen finden Sie unter Paulus und dort speziell im Kapitel über die Konstantinische Wende. Hier steht nur eine Zusammenfassung.

Die Christen wurden im Römischen Reich mehrmals grausam verfolgt. Zuletzt geschah das unter Kaiser Diocletian in den Jahren 303-311. Die Römer haben eingesehen, dass diese Verfolgungen nichts brachten.
Die meisten Christen, die man in der Zeit der Christenverfolgung fing, gaben ihren Glauben nach außen hin auf. Es waren weit mehr als die Hälfte. Sie opferten dann zwar den römischen Göttern - in ihrer Grundhaltung blieben sie aber Christen. Christliche Geistliche wurden oft körperlich bestraft, indem man ihnen ein Auge ausstach, oder ihnen Sehnen am Bein durchschnitt, so dass sie nur mit Mühe gehen konnten. Wieder andere wurden zu Zwangsarbeit verurteilt.
Nur ganz wenige wurden "ad bestias" verurteilt - das heißt, man ließ sie zur öffentlichen Belustigung im Zirkus von wilden Tieren auffressen.
Die bestialischsten Todesarten dieser "Märthyrer" wurden dann in den Heiligenlegenden besonders verklärt.

311 gab es dann ein Toleranzedikt, das die Christenverfolgung beendete.
Kaiser Konstantin hatte zu dieser Zeit bereits die mögliche staatstragende Unterstützung durch das Christentum erkannt.
Denn schon der Apostel Paulus schrieb im Römerbrief (Röm13,1ff)
Jeder soll sich den bestehenden staatlichen Gewalten unterordnen. Denn es gibt keine staatliche Macht, die nicht von Gott kommt; jede ist von Gott eingesetzt. und
Die öffentliche Gewalt steht im Dienst Gottes zum Nutzen jedes Einzelnen. ... Denn es gibt keine staatliche Macht, die nicht von Gott kommt; jede ist von Gott eingesetzt.
Da nun die staatliche Macht von Gott kommt, muss es im Interesse eines Christen sein, auch dem Staat und dem Kaiser im christlichen Sinne zu dienen.

Um 312/313 hatte Konstantin dann verfügt, dass die während der Verfolgungszeit konfiszierten Werte der christlichen Kirche zurückerstattet und christliche Kleriker mit Privilegien versehen werden sollten.
In der Mailänder Vereinbarung wurde den Christen - ebenso wie allen anderen Religionen im ganzen Reich - Kultfreiheit zugesichert. Es handelte sich nicht um eine Privilegierung des Christentums, sondern nur um eine Gleichstellung mit den anderen Religionen. Wichtig war für die Christen auch, dass ihre Kirche als Korporation anerkannt wurde, also als eine Institution des öffentlichen Rechts mit allen Rechten und Privilegien.

Der Kaiser förderte christliche Bauvorhaben massiv, u. a. die Grabeskirche in Jerusalem und die Geburtskirche in Bethlehem. In Rom wurde eine Monumentalbasilika auf dem Areal des heutigen Lateran in der Nähe der kaiserlichen Palastanlage und der Vorgängerbau des Petrusdoms erbaut.

Als römischer Kaiser war Konstantin Oberpriester aller Kulte im Reich. Unter vielen anderen gab es den Kult des Sonnengottes (Sol invictus), den Mithras-Kult, den Kult der Götterfamilie um Jupiter, den Kult der Großen Mutter oder der Kybele, die aus Ägypten stammenden Kulte des Serapis und der Isis.
Er selbst genoss ja als Kaiser zusätzlich eine göttliche Verehrung.

Durch die Christen kam nun ein neuer Kult hinzu. In diesem Kult sah sich Konstantin als Bischof der Bischöfe, ja sogar den Aposteln gleich. Und er wurde in dieser Rolle von den christlichen Bischöfen auch anerkannt. Die christliche Religion duldete jedoch nur ihren eigenen Gott allein. Deshalb verbot er Götteropfer zu seinen Ehren oder zur Verherrlichung seiner eigenen Göttlichkeit.
Obwohl er dem Christentum nahe stand, ging Konstantin nicht gegen die anderen Kulte vor, denn er erkannte die stabilisierende Wirkung all dieser Kulte. Am Anfang seiner Regierungszeit hing nur ein kleiner Teil der Bevölkerung (deutlich unter 10%) der christlichen Religion an.

Nachdem Konstantin 324 Alleinherrscher im Römischen Reich geworden war, suchte er nach weiterer Stabilisierung seiner Herrschaft.
Dabei setzte er sein Augenmerk auch auf die Christen. Die heillose Zerstrittenheit all der christlichen Gruppen wollte er schlichten. Besonders der Arianer-Streit erschütterte damals die Gemeinden. Man wollte Jesus auch als Gott sehen, aber man wollte auch nur einen einzigen Gott haben.
Deshalb lud Konstantin 325 brieflich über 1800 Bischöfe zum Konzil von Nicäa (heute İznik) ein. Es kamen aber nur etwa 300, hauptsächlich aus dem östlichen Teil des Reiches. Aus dem lateinischen Raum sollen es nur sieben gewesen sein. Jeder Bischof konnte zwei Presbyter und drei Diakone mitbringen. Konstantin bezahlte die Reise und Unterkunft und trug die Kosten. Das Konzil dauerte vom 20.5.-25.6.325.
Zur Beilegung des Arianer-Streits beschloss man über Jesus die Formel "gezeugt aus dem Wesen des Vaters und gezeugt und ungeschaffen, wesenseins (griechisch homoousios, von gleicher Substanz) mit dem Vater". Der Arianer-Streit ging danach noch Jahrhunderte weiter, aber er verlor an Schärfe.

Weiterhin wurde ein neues Glaubensbekenntnis festgelegt.
Bei weiteren Beschlüssen ging es hauptsächlich um Befugnisse von Bischöfen und anderen Klerikern. Auch das Zölibat wurde beschlossen:
Das Konzil verbietet absolut, dass Bischöfe, Priester und Diakone mit einer Frau zusammenleben, ausgenommen natürlich ihre Mutter, Schwester oder Tante oder eine über jeden Verdacht erhabene Frau.
Hier wurde anders entschieden, als im 1. Timotheusbrief steht (1Tim3,2):
Ein Bischof aber soll untadelig sein, Mann einer einzigen Frau, nüchtern, besonnen, würdig, gastfrei, geschickt im Lehren,...
Wir erkennen das Prinzip: Die Ketzer sind immer die Anderen.

Alle, die den Dogmen des Konzils nicht zustimmten, wurden per kaiserlichem Dekret zu Ketzern und Häretikern erklärt und verbannt.

326 erließ Konstantin dann ein Edikt gegen Häretiker. Es richtete sich gegen alle Christen, die Lehre oder Liturgie seiner katholischen Kirche ablehnten oder diese abänderten. Alle Versammlungsstätten dieser Häretiker wurden nun per Gesetz beschlagnahmt und seiner katholischen Kirche oder dem Fiskus übereignet.

Die Verbindung des Römischen Staates mit einer der christlichen Glaubensrichtungen hatte auch segensreiche Folgen:

380 wurde das Christentum Staatsreligion im Römischen Reich (Dreikaiseredikt). Und es endete die Religionsfreiheit.
Das Edikt lautet:
Alle Völker, über die wir ein mildes und maßvolles Regiment führen, sollen sich, so ist unser Wille, zu der Religion bekehren, die der göttliche Apostel Petrus den Römern überliefert hat, wie es der von ihm kundgemachte Glaube bis zum heutigen Tage dartut und zu dem sich der Pontifex Damasus klar bekennt wie auch Bischof Petrus von Alexandrien, ein Mann von apostolischer Heiligkeit; das bedeutet, dass wir gemäß apostolischer Weisung und evangelischer Lehre an eine Gottheit des Vaters, Sohnes und Heiligen Geistes in gleicher Majestät und heiliger Dreifaltigkeit glauben.
Nur diejenigen, die diesem Gesetz folgen, sollen, so gebieten wir, katholische Christen heißen dürfen; die übrigen, die wir für wahrhaft toll und wahnsinnig erklären, haben die Schande ketzerischer Lehre zu tragen.
Auch dürfen ihre Versammlungsstätten nicht als Kirchen bezeichnet werden. Endlich soll sie vorab die göttliche Vergeltung, dann aber auch unsere Strafgerechtigkeit ereilen, die uns durch himmlisches Urteil übertragen worden ist.


Nur die Glaubensvarianten des Pontifex Damasus von Rom und die des Bischofs Petrus von Alexandria durften von nun an als katholisches Christentum bezeichnet werden, und nur dieses galt nun als römische Staatsreligion.
Andere Religionen und angebliche Irrlehrer wurden von jetzt an, ganz im Sinne der etablierten christlichen Lehrer, extrem unchristlich verfolgt.
Insbesondere von christlichen Schlägertrupps wurden ihre Kultstätten zerstört, ihre Anhänger verfolgt - ganz so wie es vorher mit den Christen gemacht wurde. Von nichtchristlichen Kultbildern und Kultgegenständen, ja selbst von frühen Kaiserbildern finden heutige Archäologen fast nur noch Scherben. Die Christen haben gründlich gewütet.

Nun konnten christliche Lehrer auch gegen angebliche Irrlehrer oder Häretiker juristisch vorgehen. Die erste dokumentierte Todesstrafe wurde 385 in Trier verhängt an dem damaligen Bischof Priscillian von Avila.
Es war ein juristischer Mord, der von christlichen Bischöfen an einem nicht genehmen anderen christlichen Bischof initiiert wurde.
Es war dies nur eine der spektakulärsten Tötungen, welche auch aufgeschrieben wurde. Wie viele Christen mögen diese Bischöfe schon gemordet haben, bevor sie bei einem Bischof Erfolg hatten?
Wie viele normale Christen - als vermeintliche Irrlehrer - von anderen Christen gelyncht wurden, kann man nicht abschätzen. Es waren aber sicher nicht wenige.

Wem Unrecht geschieht, der wird genau dieses Unrecht an seinen Gegnern wiederholen, wenn er die Macht dazu hat. Leider können manche Christen eben nicht christlich verzeihen.

391/92 verbot Kaiser Theodosius schließlich die heidnischen Kulte und deren Ausübung.

Literatur

Gerd Lüdemann: Die ersten drei Jahre Christentum. Springe 2009.

Gerd Lüdemann: Paulus, der Gründer des Christentums. Springe 2001/2014.

Gerd Lüdemann: Der große Betrug. Und was Jesus wirklich sagte und tat. Lüneburg 1998.

Gerd Lüdemann: Ketzer, die andere Seite des frühen Christentums. Stuttgart 1995.

Gerd Lüdemann: Jesus nach 2000 Jahren, Lüneburg 2000.
Lüdemann ist emeritierter Professor für evangelische Theologie aus Göttingen.

Günther Bornkamp: Paulus. Stuttgart 1983.
Bornkamp war bis 1971 Ordinarius für Neues Testament in Heidelberg.

Hoffnung für Alle. Das Neue Testament. Basel 1989.

Die Bibel. Nach der deutschen Übersetzung Martin Luthers.

Erster Clemensbrief.

Mehrere Zitate habe ich aus Wikipedia oder www.bibleserver.com wörtlich übernommen.

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