von Werner Sticht

Visionen:
Wenn Gott direkt zu Dir spricht



Ein Atheist mag sagen, dieses Thema sei etwas für religiös Wahnsinnige. Jedoch auch für den Atheisten habe ich einige Worte.

Wenn man sich mit Wissenschaft beschäftigt hat, kann man sich zum Ausgleich ja auch einmal Gedanken über Nicht-Wissenschaftliches machen. In meinem Artikel über Spielkarten und Kartenspiele habe ich beispielsweise das Thema Wahrsagen mit Karten einmal angesprochen.
Es gibt ja doch Menschen, die an solche übernatürlichen Dinge glauben.

Wer Vorbehalte hat, einen Zugang zu Visionen über den Christlichen Gott zu finden, der kann ja sein Glück auch mit dem Buddhismus versuchen.
Als eine weitere Alternative für einen Zugang steht uns auch noch die Traumzeit der Australischen Aborigines zur Verfügung.

Was ist eine Vision?

In einem religiösen Zusammenhang ist eine Vision ein persönliches Erleben eines Menschen, der dabei mit einem jenseitigen Wesen in Verbindung tritt. Der Mensch nimmt dieses Erleben nicht mit seinen Sinnen wahr, obwohl er in der Vision durchaus Bild- und Höreindrücke aufnehmen kann.
Im Folgenden möchte ich die Person, die eine Vision hat, als den Schauenden bezeichnen - selbst dann, wenn nur ein Höreindruck beschrieben wird. Ein Mensch, der eine Vision erlebt hat, möchte keinesfalls als "Phantast" hingestellt werden. Der Begriff "Visionär" würde ihm ebenso missfallen - das Wort wäre ihm zu irdisch.

Visionen christlicher Mystiker im Mittelalter

Die wahrscheinlich ausführlichsten Informationen über Visionen findet man in den Schriften zur Christlichen Mystik.
Einer, der sich sehr tiefgreifende Gedanken über die Theorie von Visionen gemacht hat, ist Eckhart von Hochheim (1260-1328), der vor allem unter dem Namen Meister Eckhart bekannt ist.
Wie bei Theologen üblich, strapaziert auch Eckhart oft den Begriff der unsterblichen Seele. Heute würde man dafür vielleicht den Begriff "Software des Menschen" bevorzugen - das wäre zeitgemäß. Nach christlichen Vorstellungen ist die Seele auch noch unsterblich. Sie würde also nach Ausfall der Hardware in einer Virtuellen Maschine, oder besser in einem dafür neu geschaffenen Roboter auf ewig aufbewahrt werden.
Nach Eckharts Lehre bekommt die Seele über die Sinnesorgane die Informationen aus der Sinneswelt. Der körpernahe Bereich der Seele ist dafür zuständig.
Das Wissen über die Sinneswelt trägt die Seele bereits in sich. Sie besitzt dazu die fünf inneren Sinne: den Gemeinsinn, die Vorstellungskraft, die für die Begriffe zuständige Denkkraft, die Beurteilungskraft und das Gedächtnis. Die inneren Sinne ermöglichen der Seele, sich etwas nicht Gegenwärtiges vorzustellen und dessen Bedeutung einzuschätzen.
Über den inneren Sinnen steht das auf äußere Dinge bezogene Erkenntnisvermögen des schlussfolgernden Verstandes (ratio). Darüber steht als höchstes Erkenntnisvermögen der auf Gott hingeordnete Intellekt oder der Seelengrund. Den Seelengrund bezeichnet Eckhart als Abbild Gottes. Er ist eine eigenständige in der Seele tätige Instanz. Er ist etwas nicht Geschaffenes, sondern etwas Göttliches im Menschen, das einer Dimension oberhalb von Raum und Zeit angehört.

Wer also in einer Vision Gott schauen will, muss einige Voraussetzungen für die Zeit der Vision mitbringen. Die Vision ist zeitlich begrenzt, denn der irdische Körper fordert auch seine Rechte.
Der Zugang zu Gott erfolgt über den Seelengrund. Man muss alle weltlichen Wünsche aufgeben. Eckhart nennt das "Abgeschiedenheit". Der Seelengrund ist von Natur aus immer abgeschieden. Um dorthin zu gelangen muss man die übrigen Seelenbereiche von "allen Dingen" trennen, so dass der Mensch leer wird wie ein aufnahmebereites Gefäß. Dann kann Gott die gesamte Seele ausfüllen. Gott wird eins mit dem Menschen.
Manche Menschen haben so einen Zustand der Vereinigung mit Gott erlebt.
Einen Augenzeugenbericht über den Ablauf so einer Vision (oder Entrückung) habe ich verlinkt. Es sind weitere solche Berichte überliefert. Das bei der Vision Geschaute ist nicht beschreibbar. Es ist jedoch mit größter Freude für den Schauenden verbunden.
Die Mystiker um Eckhart wollten eins sein mit Gott. Sie wollten Gott nicht befragen. Sie wollten in Gott außerhalb der irdischen Welt sein. Die Abläufe des Irdischen interessierte sie kaum.

Der Zugang zu Gott nach Desmond Tutu

Desmond Tutu, der berühmte anglikanische Bischof von Südafrika, hat eine neue, zutiefst menschenfreundliche Theologie entwickelt.
In dem Buch Der Mensch ist da, um gut zu sein hat Tutu seine Theologie dargelegt. Im Kapitel Gottes Stimme hören weist er uns einen Weg, wie wir selbst Visionen haben können. Im Folgenden wird dieser Weg kurz beschrieben.

Wir können jederzeit beten und Gott unsere Anliegen vortragen. Wir hören dabei aber nicht notwendigerweise auch Gottes Antwort.
Um Gottes Stimme zu hören, empfiehlt Tutu eine tiefergehende Gebetspraxis. Im Alltag dröhnen die Stimmen von Freunden, Chefs, Familienmitgliedern wie von einer Schallplatte dauernd auf uns ein. Unsere Hoffnungen und Freuden, unsere Wut und unsere Ängste machen gehörigen Lärm. Aber inmitten dieses Getöses ist die ruhige Stimme Gottes, die uns zum Guten führt.
Die Stimme Gottes ist bejahend. Sie macht uns nicht klein oder verächtlich. Sie will das Leben verbessern. Sie spricht für das Leben. Die Stimme Gottes spricht für das Gute.
Um diese leise Stimme zu verstehen, müssen wir selbst zur Ruhe kommen. Dazu empfiehlt Tutu eine ruhige Umgebung, ein Konzentrieren auf den eigenen Atem, ein übliches ruhiges Gebet als Einstimmung. Es kann wie ein Mantra gesprochen werden.
Wenn wir zur Ruhe gekommen sind, können wir Gott in der Stille unsere Situation darlegen und auf seine Antwort lauschen.
Wir können diese Gebetspraxis üben, um seine Stimme immer besser zu hören und zu verstehen.

Visionen anbahnen

Wenn wir nun ein richtiges Gespräch mit Gott führen wollen, so können wir die überlieferten Verfahren einfach einmal ausprobieren.
Zuerst aber sollten wir unser Vorstellungsvermögen ein wenig schulen.
Wir können uns etwa an unsere Kindheit erinnern und da einmal uns vorstellen, wie wir etwa das Märchen vom Rotkäppchen gehört haben. Da liefen viele Bilder, ja gar Videosequenzen, in unserem Kopf ab. Können Sie sich noch an den Schauder erinnern, als der Wolf im Bett der Großmutter das Rotkäppchen verschlang?
Als weitere Übung sollten Sie sich dann vielleicht vorstellen, Sie wären ein Vogel. Sie wären der Vogel wirklich selbst. Sie sehen durch dessen Augen. Sie fühlen den Wind in Ihren Flügeln. Sie fliegen über ein Tal, genießen die schöne Aussicht, und Sie landen schließlich auf der Spitze eines Kirchturms. Dann fliegen Sie zu Ihrem Nest unter der Dachrinne des Kirchturms.
Eine weitere Übung ist die Unterhaltung mit dem eigenen Selbst. Stellen Sie sich vor, Sie schauen in einen Spiegel. Aber Ihr Spiegelbild sei eine Kopie, eine Verdopplung, Ihres eigenen Selbst. Stellen Sie sich vor, Ihr Spiegelbild tritt aus dem Spiegel heraus. Sie können Ihre Kopie etwas fragen, und Sie bekommen eine Antwort, die Sie nicht erwartet haben. Versuchen Sie nun, ein Gespräch mit diesem Ihrem zweiten Ich zu führen. Wenn Ihr beide, Sie und Ihre zweites Ich, Euch am Ende liebevoll umarmt, so ist die Übung gelungen.

Wenn Ihnen diese Übungen Freude gemacht haben, so können Sie nun versuchen, den Seelengrund zu erreichen, der nach Eckhart tief im Inneren der menschlichen Seele liegt. Alles Irdische sollten Sie gedanklich ablegen.
Auch Tutu empfiehlt für eine Vision die Ruhe und Abgeschiedenheit von der Welt. Sie können versuchen, sich in Gottes Hand fallen zu lassen oder sich in Ihr Innerstes hinein zu versetzen. Die besten Chancen, sich diesem Zustand zu nähern, haben Sie, wenn Sie einmal nachts wach liegen und Ruhe suchen. Dann ist es einfacher, in sein Innerstes hinein zu lauschen.
Man kann Gott seine Lage darlegen. Mit etwas Glück bekommt man dann einen Gesprächspartner. Dieser Gesprächspartner muss nicht Gott selbst sein. Es kann ein Bote Gottes sein, etwa ein Schutzengel. Möglicherweise ist es auch ein verstorbener Verwandter, ein wohlmeinender Fremder, oder das eigene Selbst aus der Zukunft. Es ist absolut nicht wichtig, wer dieser Bote ist.
Einen neulich Verstorbenen, zu dem man ein inniges Verhältnis hatte, kann man eventuell eher erreichen und ihn bitten, als Bote zu dienen.
Jemand, der eine Nahtod-Erfahrung erlebt hat, kann von solchen Gesprächspartnern erzählen. In den meisten Nahtod-Berichten durchfliegt der Erzählende nach seinem Tod eine weite dunkle Röhre. (Siehe Bild.) Am hellen Ende der Röhre wird er dann von menschlichen Wesen in Weiß freundlich empfangen.
Einer dieser Wesen gibt dem Neuankömmling dann eine Einführung. Er erklärt ihm den Eintritt ins Jenseits.

Wenn wir eine Vision bekommen wollen, und wenn wir Gottes Stimme hören wollen, so müssen wir Geduld mitbringen. Leider kommt man nur manchmal an einen der genannten Gesprächspartner. Dann sind die Versuche der Kontaktaufnahme vergebens. Es ist eben nicht nach Belieben möglich, ins göttliche Netzwerk zu gelangen.
Wer jedoch ein solches Gespräch erlebt hat, ist nachher hoch erfreut. Das Gespräch ist sehr angenehm. Leider dauert es nicht lange, denn andere Gedanken aus der realen Welt lenken bald ab. Das anschließende verkrampfte Wollen einer Weiterführung des Gesprächs ist dann meist doch zu weltlich, um nochmals eine Fortsetzung zu erreichen.

Tipps und Tricks bei Visionen


Ich wünsche Euch, Gottgläubigen oder Atheisten, viel Erfolg bei der Verbindungsaufnahme mit Gott - bzw. mit dem eigenen Unterbewussten.

Probleme bei Visionen

Nicht nur einige Mystiker des Mittelaters hatten Visionen. In den Heiligen Büchern findet man auch reichlich Visionen. Manche davon erscheinen uns heute doch höchst zweifelhaft. Ich gebe hier Beispiele.


Diese göttlichen Anweisungen mögen dem damaligen Gottesverständnis entsprochen haben. Der Zeitgeist hat sich jedoch gewandelt.
Heute hätten diese Schauenden sehr große Schwierigkeiten mit der Justiz.
Ihre Ansichten werden heute von der Bevölkerung durchweg abgelehnt. Denn sie haben in unserer Zeit mit dem Verständnis von Menschenwürde, Gerechtigkeit und Menschlichkeit kaum noch etwas zu tun.

Problematisch sind weiterhin die Visionen von Personen, die der katholischen Kirche recht nahe standen. Meist waren es Nonnen. Diese Schauenden hatten in ihren Visionen eine recht persönliche Beziehung zu Jesus selbst aufgebaut.
So wurde Juliana von Norwich von Jesus persönlich religiös angeleitet.
Anna Katharina Emmerick erfuhr viele Einzelheiten zum Leben Jesu weit außerhalb der Berichte in den Evangelien. Sie schildert beispielsweise eine recht ungewöhnliche Vorrichtung, mit der Johannes der Täufer enthauptet worden sein soll.
Noch wunderlicher sind Visionen der heiligen Teresa von Avila. In einer Vision (bekannt als Transverberation oder als Verzückung) schaute sie einen schönen Engel, der ihr mit einem Pfeil ins Herz stößt bis zu den Eingeweiden. Sie schreibt dazu:
Der Schmerz war so stark, daß er mich Klagen ausstoßen ließ, aber zugleich ist die Zärtlichkeit, die dieser ungemein große Schmerz bei mir auslöst, so überwältigend, daß noch nicht einmal der Wunsch hochkommt, er möge vergehen, noch daß sich die Seele mit weniger als Gott begnügt. Es ist dies kein leiblicher, sondern ein geistiger Schmerz, auch wenn der Leib durchaus Anteil daran hat, und sogar ziemlich viel.
Bei einer irdischen Betrachtung dieses Geschehens mag man da wohl an höchst menschliche Regungen des Körpers denken, die über die bloße Ekstase hinaus gehen.

Bestimmte Voreingenommenheiten, seien sie nun dem Zeitgeist geschuldet oder der eigenen religiösen Vorstellungswelt, sollte man also etwas zurückdrängen.
Aus diesem Grund ist für jeden, der Visionen selbst erfahren will, das oben erwähnte Filter so wichtig. Das Filter ist eine Selbstzensur.
Welche Visionen man für sich selbst zulässt, hängt nun einmal vom eigenen Gottesbild ab.
Tutus Grundeinstellung des bedingungslos liebenden Gottes ist da wohl noch am annehmbarsten.

Ein Wort an den Atheisten

Wenn Du es durchgehalten hast, bis hier her zu lesen, so bist Du offen auch für Gedanken, die in unserer Gesellschaft fremd sind. Du kannst als Atheist andere Wege zu Visionen finden. Du bist nicht auf einen Gott angewiesen.

Vielleicht sagt Dir der Begriff der Mutter Erde etwas. Du könntest Dich mit Mutter Erde ja einmal in einer Vision über den Klimawandel oder über Geologie unterhalten. Sie hat die Perm-Trias-Katastrophe erlebt - etwas Vergleichbares droht wegen des Klimawandels. Leider ist die mystische Öffnung zu Mutter Erde mit allen unseren Sinnen für die meisten Menschen verborgen.

Du kannst ja einen Versuch wagen. Gehe in die Tiefe Deines Unterbewusstseins. Jetzt lausche. Vielleicht kommst Du in Kontakt mit einer Gruppe von Walen. Vielleicht erreichst Du eine besondere Gruppe von Menschen, denen Du nie Spiritualismus zugetraut hättest. Wenn Du willst, wird man Dich zu anderen Gruppen weiterleiten.
Es läuft ab wie in einer Online-Konferenz mit vielen Zuhörern. Du stellst in Gedanken Deine Frage. Manchmal findet sich ein Helfer, der Dein Problem bearbeiten kann. Er kann beispielsweise Dein Anliegen mit einer Bilderfolge beantworten und so ohne Sprache erklären.
Aber Du wirst Dir nicht alles merken können. Versuche zu rekapitulieren, wenn Du zurück bist. Und bedenke, dass der Helfer nicht notwendigerweise menschlich sein muss. Im Netz gibt es auch Tiere und andere Lebewesen.


Wir sollten auf jeden Fall ausprobieren, in wie weit wir dieses hier angesprochene hypothetische Netzwerk nützen können.
Insbesondere ist zu prüfen, ob die erhaltenen Antworten nicht eigene Wunschträume sind - etwa wie ein Blick in den zauberhaften Spiegel Nerhegeb.
Selbst wenn nichts dran sein sollte an diesem Netzwerk - wenn Du die hier beschriebenen Übungen durchführst, so sind sie doch eine Schulung für Deine Empathie.

Literatur

Desmond M. Tutu und Mpho A. Tutu: MADE FOR GOODNESS: And Why This Makes All the Difference. New York.
  Deutscher Titel: Der Mensch ist da, um gut zu sein. München 2010.

Meister Eckehart. Deutsche Predigten und Traktate.
  Herausgegeben und übersetzt von Josef Quint. München 1963.

Lady Julian of Norwich: Offenbarungen von göttlicher Liebe.
  Übersetzung von Elisabeth Strakosch. Einsiedeln 1960.

Clemens Brentano: Das bittere Leiden unseres Herrn Jesu Christi.
  Nach den Gesichten der Dienerin Gottes Anna Katharina Emmerich (Emmerick). Graz 1935.

Hoffnung für Alle. Das Neue Testament. Basel 1989.

www.bibleserver.com

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